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Bühne Andreas Homoki zeigt einen entrümpelten «Fidelio»

Der Intendant des Opernhauses inszeniert seine zweite Oper in Zürich: Ludwig van Beethovens «Fidelio» auf einer leeren Bühne. Das Weniger bringt hier mehr. Ein eindrücklicher Abend, auch wenn beide Hauptdarsteller nicht vollends in Form waren. Eine Kritik des Premierenabends.

Bildermensch und Ohrentier – Andreas Homoki ist beides. Der Intendant der Zürcher Oper führt mit «Fidelio» zum zweiten Mal Regie in seinem Haus. In seinem «Fliegenden Holländer» hatte es letzte Saison auf der Bühne gelodert, und es drehte sich ein veritables Bühnenbild um eine mehr oder weniger klassisch erzählte Geschichte. Nun stellen Homoki und sein Bühnenbildner Henrik Ahr Beethovens Gefängnis- und Rettungsoper «Fidelio» in einen schwarzen Kasten, dessen hintere Wand mal offen ist, mal zu.

Ein schwarzer Kasten, mehr nicht. Schwarz-weiss die Kostüme (Barbara Drosihn). Keine Requisiten, keine Videoeinblendungen (sieht man von ein paar Textzeilen ab), kein farbiges Licht, schon gar keine Gefängnisarchitektur mit Kellern und Verliesen. Zum Glück. Denkt man doch schaudernd an Katharina Thalbachs Sinn einengende Kellertreppchen-Inszenierung von 2010 im selben Opernhaus zurück.

Die Botschaft ist verstanden

Sinn, Sinnbilder braucht diese Oper nicht. Denn es geht nur vordergründig um die Rettung eines Inhaftierten aus einem Gefängnis. Es geht um Freiheit des Handelns, um Liebe, um Menschen. Werte, deren bühnenwirksame Entfaltung von einer Kulisse bestenfalls unterstützt werden können. Sind sie in Beethovens Oper doch allein schon durch das Spiel und den Gesang und durch die Musik präsent. Der neue Zürcher «Fidelio» ist ein Musikdrama. Fabio Luisi, Generalmusikdirektor des Opernhauses, und Homoki als Intendant in ihrer ersten Zusammenarbeit begegnen sich dabei auf Augenhöhe.

«Fidelio» im Zürcher Opernhaus

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Oper von Ludwig van Beethoven. Musikalische Leitung: Fabio Luisi/Thomas Rösner, Inszenierung: Andreas Homoki.

Vorführungen bis 11. Januar 2014 im Opernhaus Zürich

Im Schlussbild etwa, wo Chor und Solisten die Transzendenz des Augenblicks beschwören. Jenes Augenblicks, in dem sich die Liebe Leonores zu Florestan in einer Geste manifestiert: Die rettende, liebende Frau nimmt dem Gefangenen die Augenbinde ab. «Oh Gott, welch ein Augenblick», wird da gesungen, minutenlang. Im Chor fallen sich die Paare in die Arme. Die Botschaft ist verstanden. Im Orchester spielen die Bläser einen choralartigen Satz. Die Streicher liefern im Pizzicato den Herzschlag zu dieser musikalisch gedehnten Opern-Ewigkeit in Seligkeit. Auch Anja Kampe und Brandon Jovanovich fallen sich in die Arme, lösen sich im Ensemble und im Chor auf, in der Musik letztlich. So, dass man vergisst, dass sie einen in den knapp zwei Stunden zuvor eigentlich nicht so überzeugt haben.

Der Glaube an die Oper

Die grossen Werte also, Freiheit, Liebe. Über die Abstraktion sie zu suchen ist der eine Weg, über das Abdelegieren an die Phantasie des Publikums. Über den Glauben daran, das ist der andere Weg. Den Glauben, dass der selige Augenblick im Opernhaus einer ist, der wiederkehren kann. Da draussen, irgendwann. Der Glaube an die Oper und an ihre Wirkungsmacht über die Aufführungszeit hinaus.

Mit einem Kunstgriff macht uns Homoki zu Beginn deutlich, wie er sich das vorstellt. Die Aufführung beginnt überraschenderweise nicht vorne, sondern mit dem dramatischen Höhepunkt der ganzen Oper im zweiten Akt. Im Kerker Florestans wirft sich Leonore vor die Waffe des Gefängnisvorstehers Pizarro, der den politischen Gefangenen umbringen will. Ein Schuss löst sich, ein Knall ertönt.

Und dann erklingt die Ouvertüre. Die sogenannte «Leonore 3»-Ouvertüre, die seit Gustav Mahler gerne an jener Stelle kurz vor Schluss gespielt wird. Dann aber fängt es in Zürich erst an. Von hinten also rollt Homoki seinen «Fidelio» auf. Er schmeisst die Figuren in eine Szenerie, die gebrochen ist, und an die sie erst selbst wieder glauben müssen. Wie wir auch. Das gelingt ihm.

Baggern, was das Zeug hält

Brillant ist, wie Homoki die Singspiel-Leichtigkeit des ersten Aktes trifft. Wie Marzelline baggert, was das Zeug hält. Wie, schon ernster, Don Pizarro den Kerkermeister Rocco dazu bringt, Moralvorstellungen in Geld umzutauschen, und es ihm schliesslich der ganze Chor nachmacht. Brillant auch, wie (in einer Umstellung der Szenenabfolge) anschliessend an diese rauschende Goldarie, Musik und Szene auf Teleobjektiv umschalten. In der Ferne erspähen wir den ans Tageslicht ächzenden Gefangenenchor. Hier, Ende des ersten Aktes, wird noch nicht gejubelt. Freiheit manifestiert sich erst ganz zaghaft.

Denn die Freiheit, zu der auch die Liebe zu rechnen ist, ist ein verletzlich Ding. Etwas, was ein sensibler Regisseur lieber mit Samthandschuhen anfasst. Die Zürcher Inszenierung lebt einem diese Freiheit vor, weil sie nichts behauptet, was nicht in Musik und Text angelegt wäre. Weil sie nicht Kulissentheater spielt. Weil sie nicht nur die Bühne entrümpelt hat, sondern auch das Libretto von seinen gesprochenen Zwischentexten. Homoki vertraut auf sein Publikum.

Aus dem Geist des Ensembles

Der Abend lebt überdies von einem vertrauten Ineinander der Ebenen. Fabio Luisi kann auf ein hochmotiviertes Orchester zählen. Das ihm die nötige Schärfe bringt, Tempo, Zug. Perfekt artikulierende Streicher, immer wieder schöne Bläser. Ein deutliches dynamisches Profil. Und jene göttliche Ewigkeitsaugenblicke, die keine Wünsche offen lassen.

Anja Kampe sang die Leonore mit viel Herzblut, aber etwas engen Höhen. Brandon Jovanovich litt an der Premiere ebenfalls unter zu viel Druck. Seine schöne, baritonal grundierte Tenorstimme kam nur stellenweise zum Tragen. Mit Julie Fuchs (Marzelline), Mauro Peter (Jaquino) und Christof Fischesser (Rocco) sowie allen weiteren Nebenrollen und einem motivierten Chor stand ein starkes Ensemble auf der Bühne. Wurde das Versprechen Homokis eingelöst, Musiktheater aus dem Geist des Ensembles zu machen.

Der Intendant und Regisseur Homoki ist das Wagnis eingegangen, einen völlig entrümpelten «Fidelio» ohne einen einzigen Gitterstab zu zeigen und ohne Zwischentexte. Dadurch hat die nur knapp zweistündige Aufführung viel Zug gewonnen. In der Aussage war sie eindrucksvoll verdichtet. Der Abend konnte sich voll auf die Musik verlassen, auch wenn die beiden Hauptdarsteller Kampe und Jovanovich am Premierenabend nicht voll in Form waren.

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