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Bühne Das Freie Theater in Ungarn kämpft um Unabhängigkeit

Der Regisseur Arpad Schilling und seine Gruppe «Kretakör» gehören zu den wichtigsten Protagonisten der freien ungarischen Szene. Unabhängigkeit ist jedoch nicht vorgesehen im heutigen Ungarn: Die Situation der freien Theaterszene ist dementsprechend prekär.

Ohne Einladungen und die Unterstützung aus dem Ausland könnte Arpad Schilling als kritischer Künstler im heutigen Ungarn nicht überleben. Die Subventionen für seine Gruppe «Kretakör» wurden gerade auf eine so lächerliche Summe runtergekürzt, dass die Gruppe entschieden hat, sie zurückzugeben. Als Statement.

Bühnenbild.
Legende: «La damnation de Faust», inszeniert von Arpad Schilling am Theater Basel. Theater Basel/Hans Jörg Michel

Zurzeit arbeitet Arpad Schilling am Theater Basel: Er inszeniert «La damnation de Faust» von Hector Berlioz.

Als Gastregisseur an westeuropäischen Theatern zu arbeiten, ist für den ungarischen Regisseur nicht nur aus existenziellen Gründen wichtig: «Ich arbeite gerne in unterschiedlichen Feldern, das hält mich als Künstler frisch. Ausserdem tut es gut, dass ich mich hier als professioneller Theatermacher und Mensch willkommen fühle. Das passiert in Ungarn derzeit kaum. Dort gelte ich als Querulant und muss aufpassen, dass ich nicht von der Politik vereinnahmt werde.»

Kulturumbau von Rechts

Die Situation des unabhängigen Theaters in Ungarn ist in den letzten Jahren prekär geworden. Im Zuge eines rechtsnationalen Kulturumbaus wurden die Subventionen für die freie Szene sukzessive zu Gunsten der grossen Institutionen umverteilt. Sie tendieren heute gegen Null. Kommt dazu, dass immer mehr Kulturinstitutionen von Personen geleitet werden, die sich vor allem durch ihre Nähe zur Regierungspartei Fidesz auszeichnen.

Arpad Schilling nimmt kein Blatt vor den Mund: «Wir haben es immer mehr mit unprofessionellen und undemokratischen Entscheiden zu tun. Die ungarische Kulturpolitik zeichnet sich durch Ideologie, Willkür und Dilettantismus aus.»

Theater machen allein reicht nicht mehr

Unabhängigkeit ist nicht vorgesehen im heutigen Ungarn. Dabei sind es gerade Künstler wie Arpad Schilling und andere ungarische Theatermacher seiner Generation – wie Bela Pinter, Kornel Mundruczo oder Victor Bodo – die den Ruf des ungarischen Theaters im Ausland ausmachten. Heute können sie ohne Koproduktionspartner im Westen gar nicht mehr überleben. Das führt zu neuen Abhängigkeiten im Kampf um ihre künstlerische Unabhängigkeit.

Diese Entwicklung kam schleichend, wenn auch nicht überraschend. Schon vor dem Regierungswechsel 2010, der Ministerpräsident Viktor Orban und seine Partei Fidesz an die Macht brachte, stellt Arpad Schilling eine Orientierungslosigkeit in der ungarischen Gesellschaft fest. «2008 zog ich mich vom Theater zurück. Es schien mir wichtiger, in die Schulen zu gehen, aufs Land, und mich dort für pädagogische Projekte zu engagieren. Es reichte mir nicht mehr, vor einem kunstaffinen Publikum in Budapest oder auf internationalen Festivals zu spielen.»

Alles ist Politik, alles ist Ideologie

Heute ist «Kretakör» mehr als eine Theatergruppe mit einer bemerkenswerten Erfolgsgeschichte und einem hervorragenden Ensemble. Neben Theaterproduktionen organisiert die Gruppe theaterpädagogische Workshops, sie engagiert sich in kulturpolitischen Aktionen und sie hat eine Schule gegründet. Dort können junge Menschen all das lernen, was in den letzten Jahren vom staatlichen Schulplan gestrichen wurde: Nachdenken, analysieren, debattieren.

Ein Teil dieser Studierenden ist auch in der neusten Produktion von «Kretakör» auf der Bühne, die vor kurzem in Budapest uraufgeführt wurde und derzeit an verschiedenen internationalen Festivals gezeigt wird. In «The Party» (Die Partei) zeigt Arpad Schilling ein Sittenbild der ungarischen Gesellschaft in einem virtuos gemachten, multimedialen Spektakel. Es ist ein scharfsinniger Abend, an dem die Jugendlichen als Aktivisten die Bühne entern. Das hat Kraft und verkörpert die Hoffnung auf eine Zukunft mit einer neuen Generation. Auch wenn es eine düstere Hoffnung ist.

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