Alte Leute kriechen über den Zebrastreifen. Aber niemand hupt und schimpft. Die Uhr hat aufgehört zu ticken. Wir halten das Leben an. Denn heute «isch ebe nöd Samschtig, s isch ebe nöd Sunntig, ... näi, es isch endlich sonen stinknormale Nütig».
Mit «Nütig» hat Markus Schönholzer den Song zur Stunde geschrieben , zu einem Zustand, in dem man unverhofft zwischen den Zeiten hängt und nicht recht weiss, was man mit so einem Tag im Ausnahmezustand anfangen soll.
Heitere Melancholie
«Nütig» gehört zu Schönholzers neuem Bühnenprogramm. Er hat schon mit den Schriftstellern Charles Lewinsky und Sibylle Berg zusammengearbeitet, hat für Michael von der Heide und Ursus & Nadeschkin getextet.
Schönholzer hat für renommierte Schauspielhäuser geschrieben und gespielt und ist in verschiedenen Formationen selber auf der Bühne gestanden. Zuletzt besang er mit dem Akkordeonisten Röbi Rüdisühli heiter-melancholisch das allgemeine menschliche Scheitern.
Im Widerstreit mit sich selbst
Nun aber ist Markus Schönholzer mit sich selber unterwegs. Oder besser: wäre. «Schönholzer und Schönholzer – Solo» heisst sein aktuelles Programm. Première war Anfang Februar im Theater am Hechtplatz in Zürich. Nach wenigen Vorstellungen wurde die Tour wegen der Corona-Krise abrupt gestoppt.
In diesem Programm ist Markus Schönholzer mit sich selber im Dialog. Er kämpft mit der einen Stimme in sich, welche die Welt retten will, gegen die andere Stimme, die lieber ausschlafen will: ein epischer Wettstreit, liebevoll inszeniert als Wechselspiel der Argumente.
Jedes Argument ist ein Lied zur Gitarre, das er mit sanfter Stimme in seinem Mischdialekt aus Zürich und Sankt Galler Rheintal singt.
Vom «Erschte» bis zum «Elefant»
«Hüt bin i der Erscht»: Entgegen dem eigenen Naturell erscheint der eine Schönholzer in diesem Lied endlich einmal zuerst vor Ort. Was für ein Gefühl! Bis die Erkenntnis reift, dass der Erste immer zunächst alleine ist und warten muss: «Mir wartet es Läbe lang lang uf dettig wie mich ohni Pünktlichkäitsdrang.» Lohnt sich das?
Immerhin: Der Erste zu sein ist ein ganz neues Gefühl. Und neue Gefühle vermisst man mit zunehmendem Alter immer mehr. Davon handelt das Lied «Elefant». Auch dieses passt drum fast zu gut in den Frühling 2020, mit all den neuen Realitäten und Gefühlen.
«Meine Lieder sind kleine Lieder», sagt Schönholzer, «es sind immer Alltagsbegegnungen, im Tram, in der Beiz. Und natürlich ist unsere Welt gerade ein bisschen implodiert und kleiner geworden. Wahrscheinlich deshalb hat man das Gefühl, die Lieder passen in diese Zeit.»
Chronist der feinen Erschütterungen
Entstanden ist das Programm natürlich lange vor der aktuellen Krise. Interessant daran ist aber nicht das scheinbar Prophetische. Vielmehr nimmt Markus Schönholzer seit je seismografisch die feinsten Erschütterungen unseres glatten Alltags wahr und zeichnet sie auf.
Wie weiland Mani Matter macht er aus einer scheinbaren Banalität «es risegrosses Gstürm», indem er alle Verwicklungen und Eventualitäten dieser Banalität bis ins letzte Detail durchexerziert.
Das ist meistens erheiternd. Und wenn solche minimale Erschütterungen sich zu einem grossen Beben auswachsen, dann passt ein Lied wie das vom «neuen Gefühl» oder vom «Nütig» plötzlich wie angegossen in unseren so arg veränderten Alltag.