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Kunst und Kultur bedroht? Festivals in Edinburgh fürchten den Brexit

Ganz Edinburgh ist zurzeit eine Bühne. Doch die Organisatoren der vielen Festivals in der schottischen Hauptstadt haben Angst vor dem Brexit.

Eigentlich ist alles wie immer. Die Stadt ist brechend voll. Durch die Festivalbesucher hat sich die Einwohnerzahl verdoppelt – von 500'000 auf mehr als eine Million.

Im Stadtzentrum kann man keine 50 Meter gehen, ohne ein Flugblatt in die Hand gedrückt zu bekommen. Schauspieler in fantasievollen Kostümen werben für die Shows, in denen sie abends auftreten. Die ganze Stadt ist eine Bühne – auf Strassen und Plätzen, in Schulen, Hinterhöfen und Cafés, überall wird Theater gespielt, getanzt und musiziert.

Eine Frau, die als Engel verkleidet ist, läuft in Edinburg über die Strasse.
Legende: Bunt und ein bisschen verrückt: In Edinburgh gibt es zu Festivalzeiten auch Engel auf Erden. Keystone / Jon Super

Für einen Grossteil des bunten Treibens ist das «Fringe» verantwortlich, ein Festival für darstellende Künste, an dem jeder teilnehmen kann – Profis und Laien, Briten und ausländische Künstler. Parallel finden aber auch ein Buchfestival, ein Kunstfestival, der Military Tattoo und das Edinburgh International Festival statt, das weltbekannte Orchester und Theaterkompanien in die Stadt bringt.

Ein Festival für alle

Allein das «Fringe»-Programm listet 4000 Produktionen auf – mehr als je zuvor. Die Festivalleiterin Shona McCarthy ist stolz: «Wir sind das grösste Kunstfestival weltweit. Das hat mit dem demokratischen Ansatz des «Fringe»-Festivals zu tun. Jeder kann teilnehmen.»

Schwarze Menschen, die auf einer Bühne tanzen.
Legende: Wenn verschiedene Kulturen sich zum Tanz vereinen: Das Barrowland Ballet begeistert am Fringe-Festival mit «Whiteout». Edinburgh Festival Fringe Society

Bemerkenswert sei auch, dass die internationalen Künstler und Mitarbeiter unseres Teams kein Arbeitsvisum brauchen. Shona McCarthy hofft, dass diese Offenheit, falls es zum Brexit kommt, erhalten bleibe. Sicher sei sie sich jedoch nicht.

Unsicherheit wegen Brexit

Auch Fergus Linehan, der Leiter des Edinburgh International Festival macht sich Sorgen: «Das grösste Problem, das der Brexit mit sich bringt, ist die Unsicherheit». Er brauche einen Planungsvorlauf von drei Jahren, um das Festival vorzubereiten. Noch wisse niemand, wo sie dann stehen werden.

«Schon jetzt hat unsere Währung an Wert verloren. Ich kann weniger Geld ausgeben, um Künstler einzukaufen. Unsere grösste Angst ist, dass das Land durch den Brexit in eine Rezession rutscht», sagt Linehan.

Fergus Linehan steht vor einer roten Wand.
Legende: Bevor der Brexit kommt, schöpft er aus dem Vollen: der Leiter des Edinburgh International Festival Fergus Linehan. Fergus Lineha

Dabei hat Fergus Linehan in diesem Jahr noch einmal aus dem Vollen geschöpft. Zur Festivaleröffnung gab es ein riesiges kostenloses Open Air Konzert der Los Angeles Philharmonic. Ausserdem hatte die Theaterinszenierung «Peter Gynt» Premiere, eine Koproduktion mit dem National Theatre London.

Der Autor David Hare hat Ibsens «Peer Gynt» adaptiert und die Handlung ins heutige Grossbritannien verlegt. Die Hauptfigur heisst bei ihm nicht Peer, sondern Peter. «Peter ist ein Mensch, der lieber in seiner Fantasie lebt», erklärt der Autor. «Das ist heute sehr aktuell. Politiker sprechen von alternativen Fakten, Privatpersonen posten Storys im Internet und bauen sich so ihre Biografie zusammen. Peter Gynt ist eine Figur, die den heutigen Zeitgeist repräsentiert.»

Ein Mann im beigen Outfit steht auf der Bühne. Szene aus «Peter Gynt».
Legende: Mag die Fantasie lieber als die Realität: Peter Gynt, hier gespielt am Edinburgh International Festival. Getty Images / Roberto Ricciuti

Erfolg mit alternativen Fakten

Der Regisseur Jonathan Kent hat das Stück als opulenten Bilderreigen inszeniert, mit Videoprojektionen, Revuegirls und mit dem phänomenalen James McArdle in der Titelrolle. Man begleitet ihn auf einer atemlosen Reise durch die Welt und ist tief berührt, als er am Ende ein bitteres Lebensfazit zieht. Die Produktion ist zurzeit der Hit des Edinburgh International Festivals.

Im wuseligen «Fringe» gibt es noch keine Inszenierung, die das Stadtgespräch dominiert. Doch es gibt einen neuen Trend: «Das Festival ist politischer als je zuvor. So viele Stücke über den Klimawandel, Migrationsprobleme und Genderidentität hatten wir noch nie. Das sind Themen die den Künstlern unter den Nägeln brennen. Man spürt eine neue politische Dringlichkeit.»

Dabei geht es um weit mehr als den Brexit. Bei den Festivals von Edinburgh wird intensiv über die wichtigen Themen unserer Zeit nachgedacht.

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