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Theater um Inländervorrang Gesucht: Schauspielerin, Inländerin

Wegen des Inländervorrangs müssen Theater freie Stellen im Ensemble beim Arbeitsamt melden. Wie gehen sie damit um?

Der administrative Aufwand durch den Inländervorrang ist für die Theater enorm hoch. Das war bei Inkrafttreten des Inländervorrangs am 1. Juli zu erwarten und erweist sich nun in der Praxis als noch aufwändiger.

Am Dreispartenhaus St. Gallen nimmt man die Meldepflicht ernst und sieht sich mit neuen Aufgaben konfrontiert. Per nächster Spielzeit gibt es im Theaterensemble drei Abgänge. Bevor Schauspielchef Jonas Knecht wie üblich zum Vorsprechen einladen kann, muss er die Meldung an die Regionale Arbeitsvermittlung (RAV) bewerkstelligen.

«Es gibt einen klar geregelten Vorgang. Ich muss mit der Personalabteilung sprechen und die wiederum wendet sich ans RAV, welches uns danach Vorschläge machen wird.»

«Einfach absurd»

Derzeit kann Jonas Knecht nicht abschätzen, wie viele solcher Vorschläge vom RAV für die drei Stellen eingehen werden. Der Schauspielchef tut sich indes schwer damit, ein Profil für jene Personen zu erstellen, die er konkret sucht.

«Ich kann ja nicht schreiben, dass ich eine eher burschikose Frau suche, die 1.80 Meter gross ist und ins Ensemble passt», sagt Jonas Knecht. «Das ist einfach absurd.»

Absurd wird es dadurch, dass unterschiedliche Interessen auf verschiedenen Ebenen kollidieren. Da sind die Theaterhäuser, die konkrete Vorstellungen haben, wen sie als Neumitglied haben möchten. Und da ist das RAV, das arbeitslose Schauspielerinnen und Schauspieler vermitteln muss.

Immer noch eine künstlerische Entscheidung

Am Theater St. Gallen bleibt man trotz allem gelassen. Denn Schauspielerinnen und Schauspieler bewerben sich meist sowieso direkt bei der künstlerischen Leitung. Auf dem Pult von Jonas Knecht liegen Dossiers von Stellensuchenden, auch Bewerbungen von Schauspielschulabgängerinnen und -abgängern.

Wie Schauspielchef Jonas Knecht die Vorschläge vom RAV behandelt, das bleibt Sache des Theaters und damit eine künstlerische Entscheidung. Unter diesem Blickwinkel haftet dem Inländervorrang der Touch einer Alibiübung an.

Die Regelung verwirrt

Auf der Seite von arbeitslosen Schauspielerinnen und Schauspielern sorgt der Inländervorrang vor allem für Verwirrung. Zumal vielen nicht klar zu sein scheint, wer unter dem Begriff «Inländer» fällt.

Blick auf eine Theaterbühne.
Legende: Wer kommt auf die Bühne? Inländervorrang und Theater sind schwer vereinbar. Keystone

Die Geschäftsführerin des Schweizer Bühnenkünstlerverbandes (SBKV) Salva Leutengger hält fest, dass ein Inländer nicht per se ein Schweizer sei: «Als Inländer gilt eine Person, die in der Schweiz lebt und arbeitet.»

Was bedeutet der Inländervorrang konkret?

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Der Inländervorrang, der am 1. Juli 2018 in Kraft getreten ist, ist eine Folge der Masseneinwanderungsinitiative. Seither müssen Arbeitsgeber freie Stellen in 19 Branchen mit einer Arbeitslosenquote über 8 Prozent dem Arbeitsamt melden. Schauspiel und Bühnenkunst gehört dazu. Theater müssen also freie Ensemblestellen melden.

In den ersten fünf Tagen wird die Stelle nur Inländern angeboten – also Schweizern, niedergelassene Ausländerinnen und Ausländer mit Aufenthaltsbewilligung zur Erwerbstätigkeit. Nur deren Dossiers werden an die Theater weitergereicht.

Am Ende bleibt es aber die Entscheidung des Arbeitsgebers, wer die Stelle erhält. So besetzen Indentanten nach wie vor nach künstlerischen Überlegungen.

Nur wer jemandem von ausserhalb der EU eine Stelle geben möchte, muss nachweisen, dass dafür keine Schweizer oder Europäer in Frage kommen.

Weil sie die Regelung trotzdem als diskriminiernd empfinden, haben zahlreiche deutschsprachige Schauspielschulen einen Offenen Brief verfasst.

Salva Leutenegger hat bei den 800 freischaffenden Bühnenkünstlerinnen und -künstlern des SBKV nachgefragt. Derzeit sind zwölf Schauspielerinnen und Schauspieler bei einem RAV gemeldet. «Das Feedback ist ernüchternd. Niemand hat positive Erfahrungen gemacht oder eine Stelle bekommen». sagt Salva Leutenegger.

Der Vorteil: Offene Stellen entdecken

Wichtig ist zu wissen, dass an Theaterhäusern und in Produktionsgruppen in der Regel befristete Verträge ausgetellt werden. Schauspielerinnen und Schauspieler werden projektbezogen angestellt.

Werden die Projekte dem RAV gemeldet, könne das für die Stellensuchenden auch Positives bewirken. «Die Schauspielerinnen und Schauspieler bekommen mehr Einblick in die freie Szene, was wo läuft oder welche Produktionen geplant sind.»

Es zeigt sich, dass der Inländervorrang mit den Gegebenheiten und Regeln des Theaters schwer vereinbar ist. Die ersten Erfahrungen haben vor allem für Wirbel gesorgt: für administrativen Zusatzaufwand mit wenig Ertrag und für Missverständnisse.

Die Theaterhäuser und Produktionsleitungen werden kreativ mit dem Inländervorrang umgehen müssen, um praktikable Lösungen zu finden.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 1.11.2018, 14:30 Uhr

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