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Bühne Volksbühne Berlin: Castorf geht – Zorn und Proteste bleiben

Nächstes Jahr geht an der Volksbühne in Berlin eine Ära zu Ende. Frank Castorf tritt nach 25 Jahren ab. Dass der belgische Museumskurator Chris Dercon zu seinem Nachfolger bestimmt wurde, erhitzt die Gemüter weit über Berlin hinaus. Was steht hinter der Aufregung?

Nun beginnt der Abschiedsreigen auf der Bühne: Gerade hat Christoph Marthaler mit einem hinreissenden Theaterabend seinen Abschied von der Volksbühne Berlin gegeben. «Bekannte Gefühle, gemischt Gesichter» ist ein musikalisches Requiem mit vielen Zitaten aus früheren Arbeiten, vor allem aus der Kultproduktion «Murx», die mehr als zwanzig Jahre lang lief.

Es ist ein wehmütiger Abend. Aber es ist keiner, der sentimental oder gar bitter wirkt. Und das ist durchaus erstaunlich nach den so zornig wie ideologisch geführten Debatten um das Ende der Ära Castorf in den letzten Monaten.

Marthaler, Pollesch, Castorf, Fritsch

Mitte Oktober wird der Regisseur René Pollesch den Reigen der letzten Inszenierungen fortsetzen. Es ist ein zweiteiliger Abend, der schon im Titel einen wesentlich ideologischeren Zugang verspricht: «Diskurs über die Serie und Reflexionsbude (Es beginnt erst bei Drei), die das qualifiziert verarscht werden great again gemacht hat etc. Kurz: Volksbühnen-Diskurs. Teil 1 und 2.»

Herbert Fritsch folgt im November mit einer Produktion mit dem Titel «Pfusch» und Frank Castorf selber inszeniert zum Abschluss den Faust ll.

Christoph Marthaler, René Pollesch, Herbert Fritsch und Frank Castorf: Damit sind die vier Handschriften benannt, die in den letzten Jahren die Berliner Volksbühne geprägt haben. Christoph Schlingensief gehörte noch in diese Reihe, bis zu seinem Tod im Jahr 2010.

Halbtotale Frank Castorf
Legende: Er wusste immer, wo's lang geht: Frank Castorf. Keystone

Die 90er Jahre: Ost-West-Dynamiken

Als Frank Castorf 1992 an die Berliner Volksbühne kam, war es alles andere als klar, dass man 25 Jahre später auf eine der wichtigsten Theaterepochen in der europäischen Theatergeschichte zurückblicken würde.

«Berühmt oder tot», sei das Motto gewesen, erzählt der langjährige Chefdramaturg der Volksbühne Matthias Lilienthal im Buch «Republik Castorf», das diese Zeit mehr abfeiert denn analytisch darstellt.

Lilienthal und Castorf hatten 1989 zum ersten Mal am Theater Basel zusammen gearbeitet, wo der ostdeutsche Castorf eine seiner ersten Inszenierungen im Westen machte.

Berühmt – nicht tot

In den 90er Jahren wurde die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz bald zu einem der aufregendsten Theater im deutschsprachigen Raum. Im gerade erst wiedervereinigten Berlin verband sich dort Ost und West in ästhetischer wie diskursiver Praxis wie sonst nirgends.

Und auch wenn die Volksbühne danach immer wieder Flauten durchmachte, sie erholte sich auch immer wieder davon und erstrahlte in neuer Widerborstigkeit.

Braucht das neue Berlin eine neue Volksbühne?

Dass das Ende gerade in einer Zeit der Erfolge kommen soll, leuchtet vielen nicht ein. Noch weniger aber wollen KritikerInnen akzeptieren, dass ausgerechnet ein Museumskurator das Haus übernehmen wird.

Chris Dercon 2015 in Barcelona
Legende: Chris Dercon 2015 in Barcelona Wikimedia / Dazaifou

Chris Dercon leitet derzeit noch die Tate Modern in London und will sich an der Volksbühne für die internationale freie Szene stark machen.

Viel weiss man noch nicht über seine konkreten Pläne, dafür ist es noch zu früh. Die Proteste, der Zorn und die Unerbittlichkeit aber, mit der seine Ernennung und die geplante Neuausrichtung seit Monaten bekämpft wird, sind erstaunlich und – zumindest von aussen – nur teilweise nachvollziehbar.

Da brechen Fronten und Geschichten auf, von der die Berliner Kulturpolitik wohl gehofft hat, dass sie längst weggentrifiziert und zubetoniert seien.

Buchhinweis

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  • Frank Raddatz (Hrsg.): «Republik Castorf. Die Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz seit 1992. Gespräche», Alexander Verlag Berlin 2016.
  • Eilers, Dorte Lena.; Irmer,Thomas; Müller, Harald (Hrsg.): «Castorf. Arbeitsbuch», Theater der Zeit Verlag 2016.

Denn wie die Stadt Berlin sich in den letzten zehn Jahren verändert hat, spielt auch eine Rolle in diesem Theaterstreit, der mancherorts auf die banale Formel gebracht wird: Hier das anarchische Kunstgenie Castorf – dort der neoliberale Globalisierungskurator Dercon.

Natürlich ist die Situation komplexer und vielschichtiger. Nach 25 Jahren darf eine Ära zu Ende gehen. Nicht verpassen sollte man allerdings, sich möglichst bald Karten für die nächsten Vorstellungen an der Volksbühne zu besorgen.

Zumindest Christoph Marthaler und sein herrliches Ensemble haben es vorgemacht: So weich, so beglückend, so kunstvollendet kann man Abschied nehmen. Die Erinnerungen an solch grossartige Theaterabende werden bleiben.

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