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Abschiede 2018 Philip Roth: Die literarische Stimme des amerikanischen Judentums

Philip Roth stellte Fragen, auch unangenehme, auch jene ohne Antwort. Am 22. Mai 2018 ist der Schriftsteller verstorben.

Auf die Frage, ob er sich als jüdischer Autor sehe, antwortete Philip Roth einmal: «Ich ziehe es vor, ein amerikanischer Autor zu sein.» Und ergänzte: «Isaac Singer ist ein jiddischer Autor. Amos Oz ist ein hebräischer Autor. Ein Autor wird von seiner Sprache definiert.»

Jüdische Themen omnipräsent

Doch so einfach war die Sache freilich nicht. Jüdische Themen sind in Philip Roths Büchern omnipräsent. Nahezu zwangsläufig wurde der Autor auch als jüdischer Schriftsteller wahrgenommen. Philip Roth war sich dieser Rolle durchaus bewusst.

Laut dem deutschen Schriftsteller Wolfdietrich Schnurre wird der Begriff «jüdisch» oft «mit Feuerzangen» angefasst und mit «Bibber in der Stimme» ausgesprochen. Dem stellte Philip Roth eine jüdische Normalität entgegen, wie sie selbst für viele Israelis unverständlich ist.

Jüdische Identität als Nebensache

«Für Israelis ist es enorm schwierig, die Natur des jüdischen Lebens in Amerika zu verstehen. Die israelische Ideologie unterscheidet sich so sehr von jener der amerikanischen Juden, dass sich selbst unideologische Israelis ein Leben hier nicht vorstellen können», befand Philip Roth vor Jahren in der «Zeit».

Seine Bücher zeugen von der Vielfalt des amerikanisch-jüdischen Lebens, aber vor allem von der Nebensächlichkeit, Jude zu sein. Das erklärte Philip Roth immer wieder am Beispiel der TV-Serie «Seinfeld». Die meisten Amerikaner würden die Namen in der Serie gar nicht als jüdisch erkennen und die Serie «weder als besonders jüdisch noch als besonders nichtjüdisch» empfinden.

Juden sind Teil des amerikanischen Traums

«Die meisten amerikanischen Juden scheren sich keinen Deut darum, Juden zu sein. Darüber ärgern sich die Israelis ohne Ende», fand Philip Roth. In Amerika sei es den Juden gelungen, Teil des amerikanischen Traumes zu werden. Sie kamen oft als bettelarme Schlucker aus Osteuropa, sprachen nur Jiddisch – und brachten es mit Fleiss und Chuzpe ganz nach oben.

Für die Erfolgsgeschichte ausschlaggebend waren für Philip Roth weniger ökonomische Zahlen als das Streben nach Glück: «Ein kolossaler Erfolg war, dass die Juden einen Ort fanden, wo sie glücklich und ungehindert leben konnten. Und dieser Erfolg dauert an.»

Vorwurf: Antisemitismus und Antizionismus

Philip Roths Art, Jüdisches implizit oder explizit in seinen Texten zu verweben, sorgte immer wieder für Kritik. Synagogen luden zu Vorträgen mit dem Titel ein: «Ist Philip Roth ein Antisemit?» Sie warfen ihm vor, Öl ins Feuer von Antisemiten zu giessen. Andere bezichtigten ihn des jüdischen Selbsthasses.

Antizionisten wiederum vereinnahmten ihn für ihre Zwecke. Als sich jemand bei ihm bedankte, dass er in «Operation Shylock» gegen die jüdischen Siedlungen in der Westbank demonstrierte, konterte Roth: «Ich habe nicht protestiert. Ich habe versucht, die Realität zu beschreiben.»

Israel und die Diaspora

Andere schätzen Philip Roth umso mehr dafür, wie ambivalent er sich Jüdischem gewidmet hat. «Niemand hat mehr über Israel und seine Beziehungen zur Diaspora geschrieben als Philip Roth. Oder was die Beschneidung betrifft», hiess es in einer Laudatio des Jewish Theological Seminary in New York.

«Seine Fragen über jüdisches Leben und Identität und ihre Dilemmata waren immer die richtigen Fragen, auch wenn ich seinen Antworten nicht immer zugestimmt habe», sagte der Kanzler der Hochschule, Arnold Eisen.

Die grossen Fragen des Lebens

2011 ist Philip Roths letztes Buch «Nemesis» auf Deutsch erschienen. Ein Sportlehrer muss zusehen, wie eine Polio-Epidemie seine Schützlinge dahinrafft. Dieses Buch stellt die Frage der Theodizee: Wie kann Gott das zulassen? Ist er ein ungerechter Kindermörder? Oder gibt es ihn vielleicht gar nicht?

Philip Roth hat die grossen Fragen des Lebens gestellt – auch jene, auf die es keine Antwort gibt.

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