2010 liess Mohammed Soudani einen Löwen durch Locarno laufen («Lionel») und ein Paar durch die Wüste fahren («Taxiphone»). 13 Jahre zuvor nahm sich der Regisseur dem Schicksal illegaler Einwanderer in Italien an. «Ich bin glücklich und stolz, dass ich diese Geschichte erzählen durfte», sagt er zurückblickend.
Herr Soudani, Ihr Debütfilm «Waalo Fendo» erzählt die Geschichte von Afrikanern, die nach Europa immigrieren. Auch Sie traten einst den Weg von Algerien in die Schweiz an.
Richtig. Aber meine Immigration war ein Privileg im Vergleich dazu, was ich in meinem Film erzähle. Ich wollte darin die «neue» afrikanische Immigration thematisieren, nämlich die Auswanderung von französischsprachigen Afrikanern in die sprachfremden Länder Spanien und Italien. In den Nachrichten wurde damals vermehrt über dieses Phänomen berichtet – und auch über die damit verbundene Gewalt. Ich wollte denen, die als Sklaven behandelt werden, eine Stimme geben.
Das Thema Einwanderung wird auch in der Schweiz viel diskutiert. Hätte sie sich nicht auch als Schauplatz anerboten?
Obschon der Film nicht hier spielt, wirft das darin behandelte Thema natürlich auch bei den Schweizerinnen und Schweizern Fragen auf. Heute fühle ich mich bereit, einen Film über die Immigration in die Schweiz zu machen, aber es wäre ein anderer Film als «Waalo Fendo».
Wie gestalteten sich damals Ihre Recherchen?
Aus dem Fernsehen vernahm ich von einem Fall in Italien. Aus einem weissen Fiat Uno wurde auf afrikanische Immigranten geschossen, mehrere wurden dabei getötet. Das Auto soll von Polizisten ausserhalb der Dienstzeit gefahren worden sein. Dieser Bericht berührte mich sehr, und so reiste ich nach Italien. Dort traf ich mich über mehrere Tage hinweg mit afrikanischen Strassenverkäufern. Das Drehbuch, das ich danach zusammen mit Saidou Moussa verfasste, basiert auf realen Tatsachen.
Sie drehten Ihren Debütfilm erst mit 38 Jahren. Warum nicht früher?
Ich bin zwar seit ich 24 bin im Filmbereich tätig, arbeitete aber lange als Kameramann und später als Bildautor. Irgendwann drängte sich in mir dann das Gefühl auf, Regie zu führen. Dann sagte ich zu mir: Let’s go!
Damit war es aber nicht getan. Wie schwierig gestaltete sich die Finanzierung des Films?
Meine Frau, die den Film produzierte, hatte Mühe, Gelder zu finden. Aber sie tat alles, um seine Entstehung zu ermöglichen. Wir reduzierten das Budget und nahmen eine grosse Hypothek auf unser Haus auf. Dann kam das RSI als Ko-Produzent an Bord und machte damit den Film möglich.
Warum entschieden Sie sich bei der Besetzung für Laiendarsteller?
Die Entscheidung, abgesehen von der Hauptfigur Yaro mit Laien-Schauspielern zu arbeiten, traf ich bereits ganz am Anfang. Es sind Menschen, die das Misstrauen und die Demütigung in den Asyl-Ländern selbst erlebt haben und deshalb authentisch wirken. Sie liessen ihren starken Emotionen freien Lauf.
Was für Erfahrungen haben Sie als Filmemacher und Mensch aus «Waalo Fendo» mitnehmen können?
Die wichtigste war: Um einen guten Film zu drehen, bedarf es viel Arbeit. Arbeit am Thema, am Drehbuch und mit den Schauspielern, egal ob Profi oder Laie. Als Mensch bin ich einfach glücklich und stolz darauf, dass ich diese Geschichte erzählen durfte. So sehe ich mich: als Geschichtenerzähler mit Bildern.
Wie zufrieden sind Sie mit dem Film heute?
Ich bin immer noch sehr zufrieden damit. Noch heute versuchen Menschen mit kleinen Booten oder sonst wie das Mittelmeer zu überqueren, um sich ihren Traum von Europa zu erfüllen. Er hat somit nichts von seiner Aktualität eingebüsst.
Waren Sie überrascht, gleich mit dem Debütfilm den Schweizer Filmpreis zu gewinnen?
Als ich den Film drehte, wusste ich gar nicht, dass ein Schweizer Filmpreis überhaupt existiert. Und als der Film dann nominiert war und sogar gewann, war das für mich doch eine sehr angenehme Überraschung. Vor allem, weil bei der Realisierung meine Frau die einzige Person war, die auf meiner Seite stand. Sie gab mir Mut, in die Tiefe zu gehen und alles zu wagen.
Wenn der Mohammed Soudani von heute dem Mohammed Soudani von damals einen Rat geben könnte, wie würde der lauten?
Ich würde ihm keinen Ratschlag geben, ihm aber Danke sagen, dass er das Risiko eingeht. Dank ihm bin ich heute wer ich bin.