Der Film beginnt mit ästhetischen Nahaufnahmen. Eine Frau wird geschminkt. Wimpern werden getuscht, roter Lippenstift wird aufgetragen. Die Kamera zieht auf. Schliesslich erkennt man, dass hier eine Tote für die Beerdigung hergerichtet wird. Sie trägt ihr Brautkleid.
Ein verstörender wie faszinierender Einstieg. Faszinierend und verstörend geht es weiter als Claire (Anaïs Demoustier) kurz darauf den Witwer in Frauenkleidern erwischt. Claire war die beste Freundin der Verstorbenen. Nun fragt sie sich: War David (Romain Duris) über all die Jahre schwul? David erklärt ihr, dass er Frauen liebt. Und zwar so sehr, dass er selbst gerne eine wäre. Die konservative Claire stempelt ihn als pervers ab. Trotzdem fühlt sie sich auf eine merkwürdige Art und Weise von seiner Weiblichkeit angezogen. Ehe es Claire bewusst wird, ist sie in Davids Doppelleben mithineingezogen worden. Vor ihrem Mann verheimlicht sie die Treffen mit David. Sie gibt ihn als ihre neue Freundin Virginia aus.
Das stärkste Zitat
Während einer Shoppingtour entdeckt Claire einen Schönheits-Fauxpas bei Virginia. «Hast du dich heute nicht rasiert?» «Nein, ich habe mich gestern Abend rasiert. Warum? Sieht man es?» «Ja, man sieht‘s. Tja, ‹Frau› sein ist harte Arbeit.»
Der Regisseur
Die Filme des französischen Regisseurs François Ozon sind so vielseitig wie seine Geschichten. Ob es ein Musical unter «8 Frauen» ist oder ein Thriller am «Swimming Pool». Sein Stil wird oft mit dem von Pedro Almodóvar verglichen. Wie der spanische Regisseur beherrscht Ozon die Kunst, mit einem unaufgeregten Erzählstil den Zuschauer zu fesseln. Komplexe Gesellschaftsthemen schildert er auf eine so natürliche und entspannte Art, dass sie wie normale Alltagsgeschichten wirken. Wie in «Une Nouvelle Amie».
Fakten, die man wissen sollte
Für «Une Nouvelle Amie» liess sich François Ozon von der gleichnamigen Kurzgeschichte «The New Girlfriend» von Ruth Rendell inspirieren. Es ist eine von elf Kurzgeschichten, die bereits 1985 erschienen. Hauptsächlich sind es Thriller, in denen es um Perversionen im Alltag, Erpressung und um Mord geht. Ozon machte aus dem Thriller eine Tragikomödie. 25 Jahre dauerte es, bis er seine Idee auf die Leinwand brachte.
Das Urteil
Claire, eine emanzipierte Frau, wird durch einen Transvestiten wieder an ihre Weiblichkeit erinnert. Sie fängt an, wieder Lippenstift zu benutzen. Statt Hosen trägt sie zum Ausgehen Kleider. Dieser Wandel wird im Film nicht als Reduzierung der Frau auf äusserliche Attribute abgetan, sondern zeigt die Ästhetik der Wandelbarkeit. François Ozon ist ein Meister der Inszenierung. Unaufgeregt und frech stellt er die Grenzen der gesellschaftlichen Toleranz auf die Probe. Soll man einen heterosexuellen Mann in Frauenkleidern ernst nehmen, sogar als Freundin akzeptieren? Der Film möchte festgefahrene Denkmuster ändern. Wer sich darauf einlässt, wird mit einer erfrischend originellen Geschichte belohnt.
Kinostart: 26.3.2015