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Filmfestival Locarno Der Aufschrei eines stimmlosen Mannes

Die peruanischen Brüder Daniel und Diego Vidas erzählen in ihrem aktuellen Film von einem Mann, dem eine tragische Ironie widerfährt: Er will Korruption und Ungerechtigkeit nicht schweigend hinnehmen, verliert aber seine Stimme.

Nach «Octubre» erzählen die peruanischen Brüder Daniel und Diego Vegas in ihrem zweiten Spielfilm die Geschichte von Constantino Zegarra (Fernando Bacilio). Er ist ein gewissenhafter, pedantischer Richter, der stets die volle Härte des Gesetzes spielen lässt – in einer Gesellschaft, in der sich alle anderen konstant arrangieren, bis hin zu seinem Vater, seiner Frau und seiner Tochter.

Filmszene: Constantino, mit Anzug und Krawatte schaut durch eine eingeschlagene Autoscheibe.
Legende: Es beginnt mit einer eingeschlagenen Autoscheibe: Hat es jemand auf Constantino Zegarra (Fernando Bacilio) abgesehen? Festival del film Locarno

In der ersten Szene des Films, der in Locarno im internationalen Wettbewerb läuft, wird er von der Mutter eines von ihm Verurteilten verflucht und beschimpft. Er findet seine Autoscheibe eingeschlagen und am nächsten Tag stellt er fest, dass er versetzt worden ist, weg aus Lima, zurück in die Provinz. Und auf dem Weg nach Hause wird er durch die eingeschlagene Autoscheibe hindurch angeschossen.

Ein moderner Michael Kohlhaas

Zegarra ist überzeugt, dass jemand es auf ihn abgesehen hat. Während seine ganze Umgebung und die Polizei von einer verirrten Kugel von einer Schiesserei ausgehen. Und so wird Constantin Zegarra zu einem modernen Michael Kohlhaas – «Die Gerechtigkeit ist blind, aber die Ungerechtigkeit ebenfalls», heisst es im Trailer zum Film.

Die Brüder Vega inszenieren das als aberwitzige Mischung aus Realismus und leichter Überzeichnung. Das zeitgenössische Peru erscheint dabei als ein Land, das sich weder seiner Vergangenheit noch seinen Problemen stellt. Und Zegarra, der einzige, der die Korruption und Kungelei nicht schweigend hinnehmen oder gar aktiv betreiben will, verliert durch den Schuss, der ihn am Hals trifft, die Stimme. Daher der Titel des Films: «El mudo», der Stumme.

Ein aufrechter Mann, aber kein Sympathieträger

Die Ironie wird dadurch verdoppelt, dass Zegarra sich in seinem unbedingten Wunsch nach Aufklärung und Bestrafung der Täter in genau jene illegalen, aber alltäglichen Beziehungs- und Intrigensysteme versteigt, die er eigentlich verachtet. Als Schauspieler ist Fernando Bacilio der weitgehend stummen Rolle mehr als gewachsen, zumal er meistens nur griesgrämig aussehen muss. Seine Figur lebt vom Paradox, dass er zwar der einzige aufrechte Mensch im Spiel ist, dadurch aber für seine Umgebung und uns im Publikum nicht zum Sympathieträger wird. Eigentlich tut er einem auch nur einmal wirklich leid, als er in Tränen ausbricht über den Entschluss seiner Tochter, nicht Jura zu studieren.

Unauffällige Kamera

SRF am Filmfestival Locarno

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Im Radio:

SRF 2 Kultur und SRF 4 News sind während des Filmfestivals gemeinsam vor Ort: «Live aus Locarno» mit aktuellen Filmen und prominenten Gästen – vom 3. bis 11. August, Mo-Fr, um 11 Uhr live auf SRF 4 News und 12 Uhr auf SRF 2 Kultur.

Im TV:

«Filmfestival Locarno 2017 - Das Spezial» am 9. August um 22.25 Uhr auf SRF 1.

Die filmische Inszenierung setzt auf mittlere Nähe und eine weitegehend unauffällige Kamera, bis auf eine Szene an einer Geburtstagsfeier für die Tochter, die mit subjektiver Kamera so gefilmt wird, dass man zuerst glaubt, als Zegarra durch die Gäste zu gehen, bis er selbst ins Bild kommt.

Und noch auffälliger ist das Spiel mit der sparsam eingesetzten Musik von Oscar Camacho. Die ist fast nur zu hören, wenn Zegarra die von ihm Verdächtigten beschattet und der Film sich ein klein wenig genremässig gebärdet, mit wahrhaft musikalischem Gusto.

Zwischen Hiob, Buster Keaton und Donald Duck

«El mudo» ist einer dieser Pechvogelfilme, welche die Tragik einer Hiobsfigur mit der lakonischen Komik eines Buster Keaton verbinden. Manchmal umweht die verbohrte Hauptfigur gar ein Hauch von Donald Duck.

Er ist kein Film, der sich einfach wieder aus dem Gedächtnis stiehlt. Eher schon einer, der es sich bei etlichen anderen solcher Seltsamkeiten in den hinteren Winkeln der Erinnerung einnistet und einen mit einem leisen, verzweifelten Lachen später wieder heimsucht.

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