«Wie sollen wir das denn verkaufen?», habe man ihn bei Netflix gefragt, verriet Alejandro Jodorowsky diesen Mai in einem Interview mit der Kulturplattform «IndieWire».
Aus dem Mund des Künstlers selbst klingt diese banale Frage wie pure Ironie: Einen Jodorowsky «verkauft» man schliesslich nicht einfach so.
Zugeständnisse? Sicher nicht!
Am öffentlichen Interesse für Jodorowskys Schaffen werden die Verhandlungen nicht gescheitert sein. Mehr als eine Million Follower auf Twitter sprechen für sich.
Aber nur schon der Gedanke daran, dass «Jodo» jedwede Zugeständnisse an ein potenziell rentables Zielpublikum machen könnte, scheint schlicht absurd.
Mit dem Wort «absurd» liesse sich auch gleich der Reigen der Begriffe eröffnen, mit denen Jodorowskys Filme zu beschreiben wären: absurd, surreal, metaphysisch, anarchisch, esoterisch, grössenwahnsinnig, psychedelisch, grotesk, blasphemisch, visionär, schamanisch, poetisch, obszön, hypnotisch, skandalumwittert, symbolbeladen, bizarr, abgehoben, verrückt.
Die Kritik tut sich schwer
Liest man sich in die kritische Rezeption von Jodorowskys heute kultisch verehrten Frühwerken ein («Fando y Lis» von 1968, «El Topo» von 1970, «La montaña sagrada» von 1973) , stösst man vielerorts auf eine geradezu gehässige Ablehnung.
Wirr, kryptisch und krankhaft selbstverliebt seien Jodorowskys Filme, lautete der Tenor. Unnötig provokant seien sie obendrein. Doch genau dieselben Aspekte, die von der Kritik als Mängel herausgestrichen wurden, machten in den Augen von Jodorowskys Fans die Qualitäten seiner Filme aus.
Sie entdeckten hier die freiförmigen, mysteriösen und persönlichen Werke eines Autors mit dem Mut zu eindringlichen Schockmomenten.
Insbesondere «El Topo» fand in den USA ein treues, junges Stammpublikum, das sich den Film wiederholt in Mitternachtsvorstellungen ansah – in der Regel nicht ohne vorher tief an einem Joint gezogen zu haben.
«Dune»: ein Stolperstein
Mitte der 1970er-Jahr geriet Jodorowskys Karriere dann auf spektakuläre Weise ausser Kontrolle: Die Verfilmung von Frank Herberts Science-Fiction-Roman «Dune», scheiterte an der Kompromisslosigkeit des Künstlers und musste vorzeitig abgebrochen werden.
Die Anekdoten und Legenden rund um dieses Projekt, das der erste Blockbuster der Filmgeschichte hätte werden können, finden sich gebündelt und nacherzählt im Dokumentarfilm «Jodorowsky's Dune» (2013).
Das wäre ein irrer Film geworden
H.R. Giger, Mick Jagger, Pink Floyd, Orson Welles und Gloria Swanson hätten alle an Bord dieses gigantomanischen Unterfangens sein sollen. Selbst Salvador Dalí war vorgesehen, notabene für eine Szene, in der er vor laufender Kamera hätte defäkieren müssen.
Man wagt sich nicht auszumalen, was das für ein irrer Film geworden wäre. Vielleicht läuft er ja irgendwo in einem Paralleluniversum – in der von Jodorowsky erträumten Langfassung mit 15 Stunden Spieldauer.
Pläne für morgen und übermorgen
Doch heute träumt Jodorowsky einen ganz anderen Traum: Er feiert seit Jahrzehnten grosse Erfolge als Comic-Autor, wo er seinen Hang zur Extravaganz ohne gigantische Budgets ausleben kann («L'incal», «Bouncer» und ganz neu «Fils d'El Topo»).
Mit «La danza de la realidad» (2013) hat er einen autobiografischen, selbstproduzierten Mehrteiler in Angriff genommen. Darin will er aufzeigen, wie eng verwoben für ihn Leben und Kunst, beziehungsweise Wahrheit und Fiktion sind. Der in Locarno gezeigte «Poesía sin fin» ist der zweite Teil in dieser Reihe.
Jodorowsky sprüht vor Ideen und denkt nicht ans Aufhören. Er hat weitere Comics in Planung. Sein autobiografisches Projekt hat erst gerade angefangen. Wer weiss: Vielleicht findet man ja bei Netflix eines Tages heraus, wie man ihn verkaufen kann.