Bis 2013 galt in ganz China die Einkind-Politik. 1979 wurde sie eingeführt. Im Film von Wang Xiaoshuai lässt dies die Partei durch eine Lautsprecherdurchsage in einem Betrieb verlauten:
«... damit die Bevölkerungszahl Chinas bis zum Jahrhundertende 1,2 Milliarden nicht überschreitet, fordert der Staatsrat alle Ehepaare auf, nur noch ein Kind zu gebären...»
Zwei Elternpaare, zwei Söhne
Das betrifft auch die glücklich verheirateten Yojun und Liyun, deren Sohn fast gleichzeitig mit jenem ihrer Freunde und Nachbarn geboren wird. Die Geburtstage der beiden werden gemeinsam gefeiert.
Einer der Väter verkündet: «Wären die Kinder Mädchen und Junge, gäben sie dereinst ein schönes Paar ab.»
Die grosse Katastrophe für Eltern
Die beiden werden gemeinsam älter, wie Brüder. Bis Xingxing beim Spielen am Fluss ertrinkt, eine Katastrophe für seinen Freund Haohao. Dieser fühlt sich fortan schuldig.
Und es ist eine Katastrophe für Xingxings Eltern. Die Mutter, Liyun, kann keine Kinder mehr bekommen. Denn schon bald nach Xingxings Geburt wurde sie wieder schwanger und wurde daraufhin von der Betriebsleiterin zu einer folgenschweren Abtreibung gezwungen.
Chronologie zusammenreimen
Das alles erzählt Regisseur Wang Xiaoshuai, indem er mit seinem Film manchmal unvermittelt über Jahrzehnte hinwegspringt. Er taucht in die Erinnerungen der Protagonisten ein, ohne Warnung oder dramaturgische Wegweiser.
Man braucht eine Weile, um sich die Chronologie der Ereignisse zusammen zu reimen. Aber genau darin liegt die Wucht und die epische Breite dieses Films. Denn wir erleben in den 180 Filmminuten viel mehr als 20 Jahre chinesische Sozialgeschichte.
Freundschaften zerbrechen an der unmenschlichen Parteipolitik. Und Menschen siedeln über hunderte von Kilometern um, um der Vergangenheit zu entkommen. Die Verlorenheit der Menschen fesseln einen an die Figuren.
Eine moderne Windjacke und graue Strähnen
Wang Xiaoshuai bringt den langen Atem moderner Serien und ihre chronologische Sprunghaftigkeit – ohne deren Hang zum Cliffhanger – zusammen mit epischen Bildern und grossen Gefühlen im Kleinen.
Oft mit minimalem Aufwand. Mit ein paar grauen Strähnen im Haar der Schauspieler und allenfalls einer modernen Windjacke überbrückt die Ausstattung wirkungsvoll Jahrzehnte.
Das macht diesen Film zu einem Fest der Gefühle. Und er ist überraschend reich an Eindrücken zur jüngeren Geschichte Chinas, der Zeit, die der Regisseur selber durchlebt hat.
Kinostart: 10.10.2019