Im Grenzgebiet rund um das CERN bei Genf: Hier werden nicht nur unterirdisch Teilchen beschleunigt, sondern auch oberirdisch im Leben von Pierre-André, genannt P.A. und gespielt von Thomas Daloz.
Der Mittelschüler und seine drei Freunde Mérou, Cole und JB leben unspektakulär wie Hunderte von Teenagern in der Gegend. Verschlafen in der winterlichen Dunkelheit, verschlafen im Mathe-Unterricht: ein wenig wacher sind sie nur in der Pause. Hellwach sind sie erst beim Jammen in der Garage oder beim Kiffen vor dem Fernseher.
Wirre Wahrnehmung
Mit P.A. beobachten wir hin und wieder eigenartige Phänomene. Etwa einen riesigen Vogelschwarm über den Kühltürmen des CERN. Oder eine Wiese, die sich beim Blick durch das Busfenster abzusenken scheint.
P.A. traut seinen Wahrnehmungen nicht ganz und redet auch nicht über sie. Schliesslich ist er ein ehemaliges Ritalin-Kind, was man ihm bei seiner typischen Teenager-Trägheit nicht mehr zutrauen würde.
Aber er redet beiläufig davon, als er sich mit Roshine (Néa Lüders) anfreundet, der nicht ganz gesunden Tochter eines deutschen CERN-Ingenieurs. Sie braucht alle zwei Stunden ihre Spritze und ermüdet leicht.
Ausflug ins Unbekannte
Über den grössten Teil der 98 Minuten breitet Blaise Harrison mit viel Gespür das Alltagsleben der Teenager aus – penetrant unspektakulär, aber gleichzeitig extrem einnehmend und nah.
Ein Ausflug der Schulklasse ins CERN bietet etwas wissenschaftliche Theorie über das, was ist, was sein kann und was sein könnte. Und vor allem über das, von dem noch niemand genau weiss, was es ist.
Mit Nachdruck erklärt P.A. Roshine, dass sie zwar beide das Gefühl haben könnten, sich an der Hand zu halten, dass aber in Wirklichkeit auch ihre Hände aus Partikelwolken bestehen, die sich bestenfalls einander annähern können. Es ist das Bild, das der Film mehrfach mit dem Vogelschwarm evoziert hat.
Psychedelischer Trip
Dass einmal ein Marder oder ein ähnliches Tier unbemerkt über eine nächtliche Wiese huscht und sich in einen winzigen Schwarm aus goldenen Lichtern auflöst: Man könnte das auch übersehen – so beiläufig und unvermittelt fügt sich die Szene in ihre Umgebung ein.
Dramatisch wird das Leben der Jugendlichen erst, als die vier Freunde im Wald campen und sich psychedelische Pilze reinpfeifen. Es passiert allerdings nicht wirklich etwas. Abgesehen davon, dass am nächsten Morgen Mérou nicht mehr da ist.
Die anderen drei nehmen an, er sei in der Nacht wegen des Schneefalls schon nach Hause gegangen und staunen erst, als er auch die nächsten Tage nicht mehr auftaucht und die Polizei sie alle vernimmt.
Irgendwann stellt P.A. fest, dass im Haus des Hasch- und Pilz-Dealers, bei dem sie gemeinsam waren, jemand ganz anderes wohnt.
«Les particules» ist ein extrem feiner Film über das ungesicherte, unstabile Leben in der Adoleszenz, über diese Zustände, die keine sind, sondern dauernde Übergänge.
Was der Film mit seiner langsamen, bestimmten, sorgfältigen Art an Aufmerksamkeit aufs Spiel setzt, holt er sich rückblickend um ein Mehrfaches zurück. Mit Momenten, die man nie mehr vergessen wird.