Selten sitzt man beim Pressegespräch einer Person gegenüber, die dermassen zufrieden und unübersehbar glücklich ist. Und die im Moment wirklich nichts lieber zu tun scheint, als von ihrem neuen Film zu erzählen.
Die Interviewpartnerin heisst Ildikó Enyedi. Sie ist eine ungarische Regisseurin und Autorin, die 1989 für «My 20th Century» in Cannes die Goldene Kamera gewann, danach aber wiederholt auf Produktionsschwierigkeiten stiess. Ihr letztes grosses Werk «Simon mágus» konnte sie 1999 fertigstellen. Danach entstanden keine bedeutenden Spielfilme mehr.
Nervosität macht sich breit
Jetzt aber sitzt die 62-jährige Enyedi in einem Seitengang des Berlinale-Palasts und strahlt. Ihr neuer Film «On Body and Soul» läuft im Wettbewerb, die Reaktionen sind ausgesprochen positiv, auch die unsrige .
Es wird gemunkelt, sie hätte Gewinnchancen. Falls Enyedi das nicht schon weiss, erfährt sie es jetzt von mir. «Sind Sie deswegen nervös?», will ich von ihr wissen. «Ja, langsam schon ein wenig», lächelt sie.
Die Ausgangslage von «On Body and Soul» ist genial: Ein Mann und eine Frau, die sich eigentlich nicht mögen, stellen eines Tages fest, dass sie sich allnächtlich im gleichen Traum begegnen: Er ist ein Hirsch, sie eine Hirschkuh. Feine Ironie, haben doch beide beruflich mit toten Tieren zu tun. Er ist der Finanzdirektor eines Schlachthofs, sie ist eine externe Fleischkontrolleurin.
Traumpaar oder Paar im Traum?
Das ist auch aberwitzig und tragikomisch, weil sich beide Protagonisten streng genommen für beziehungsunfähig halten: Er ist familiengeschädigt und hat einen gelähmten Arm, sie hingegen versucht zu verstecken, dass sie an Asperger leidet.
Eine vertrackte Liebesgeschichte bahnt sich an: Niemals würden sich die beiden ihre Seelenverwandtschaft eingestehen. Also kümmert sich das nächtliche Unterbewusstsein darum.
Wie sind Sie auf diese Idee gekommen, Frau Enyedi? «Es fiel mir einfach ein: Jemand, den ich nicht kenne, ist mir plötzlich vertraut. Was mache ich? Flippe ich aus? Vielleicht. Aber dann lasse ich mich darauf ein. Dieser Fremde hat etwas mit mir zu tun. Oh mein Gott! Es ist so intim und zärtlich in der Nacht; sollten wir das auch am Tag probieren? Verabreden wir uns? Aber Halt! Was ist, wenn das Date ein Desaster wird?»
Romantisch, unromantisch
Enyedi erzählt lebhaft, gefühlvoll, intensiv. Der Titel «On Body and Soul» mag zwar verkopft anmuten; die toten Seelen der Tiere im Schlachthof und die erwachenden Seelen der Menschen verweisen womöglich auf das Mythologische. Aber zuallererst ist der Film trotz allem: eine Romanze.
Enyedi stellt klar: «Das ist es ja: Der Ort ist unromantisch. Der Mann ist überhaupt kein romantischer Typ, und sie ist es auch nicht. Gefühle sind aber trotzdem da. Das sind Gefühle, die alle haben können. Auch unsere Nachbarn, denen wir das vielleicht gar nicht zutrauen. Vielleicht auch Tiere.»
Zumindest mit einem Tier geht Ildikó Enyedi nur Tage später eine besonders gefühlvolle Beziehung ein: Sie hält einen Goldenen Bären in der Hand. Und strahlt wie ein Maikäfer.
Kinostart: 07.12.2017