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Solothurner Filmtage «Dawn», Morgengrauen im zionistischen Untergrund

1947: Zionisten kämpfen für die Errichtung eines jüdischen Staats in Palästina. Vor diesem historischen Hintergrund erzählt der Schweizer Filmemacher Romed Wyder die Geschichte von Elisha, einem Holocaust-Überlebenden, von einer langen Nacht der Gewissenskämpfe, die den Zuschauer kalt erwischt.

Romed Wyder setzt das Werk eines Holocaust-Überlebenden filmisch um: den mittleren Teil der «Elisha»-Trilogie von Elie Wiesel. Und er macht daraus ein fliessendes, manchmal statisches, manchmal dramatisches Kammerspiel.

Der junge Holocaust-Überlebende Elisha (Joel Basman) hat sich 1947 dem zionistischen Untergrund in Palästina angeschlossen. Im Kampf gegen die britische Verwaltungsmacht wurde einer der Kämpfer gefangen genommen und soll gehängt werden. Um ihn freizupressen haben die Aktivisten im Gegenzug einen britischen Offizier entführt, und drohen nun ihrerseits, diesen zu erschiessen, sollte kein Austausch zustande kommen.

Im Kern ist das eine dramatische Bühnenanlage. Da sind vier Männer und eine Frau während der Ausgangssperre in einem Haus zusammen, im Keller der Gefangene, von dem sie wissen, dass sie ihn wahrscheinlich im Morgengrauen erschiessen müssen.

Je länger die Nacht, desto abstrakter die Figuren

Zwei Männer, einer kniend, der andere stehend, neben einer Leiche.
Legende: Die lange Nacht wird Elisha zum Mörder machen. Dschoint Ventschr

Die Männer, bis auf den jungen Elisha verkörpert von britischen Profischauspielern, erinnern in ihrer Darstellung an die Protagonisten von Spielbergs «Munich» oder ähnlichen Rekonstruktionsfilmen. In ihren dramatischen Funktionen werden sie aber zunehmend abstrakter, je länger die Nacht und ihre Gewissenskämpfe fortdauern.

Einer ist der harte Soldat, der Kommandant. Ein zweiter ist der gläubige Jude, der betet und nach Aussage eines anderen bloss noch seinen Gott zu lieben vermag. Und der dritte ist der kleine Gauner, der Mischler und Zyniker, während Elisha zugleich den einzigen reinen Idealisten und den Einzigen mit Skrupel verkörpert. Die Frau schliesslich ist zugleich Verführungs-Rekruteurin, Revolutionärin, Geliebte und Soldatin, ein vollends multifunktionaler Charakter.

Realismus und Abstraktion

Das funktioniert wahrscheinlich in einem Roman besser als auf der Leinwand, wo sich Realismus und abstrakte Erörterung dauernd in die Quere kommen. Zudem ist der Film auf eine klare Kernbotschaft fokussiert: Der Staat Israel ist aus Terror heraus entstanden und diesen nie mehr losgeworden. Ohne das Buch gelesen zu haben, kann ich nicht beurteilen, ob dies tatsächlich bei Elie Wiesel angelegt ist oder in der Konzentration des Films zur Interpretation wird. Aber die Kernszenen sind eindeutig.

Wenn Elisha dem gefangenen britischen Offizier Essen in den Keller bringt und der ihn nach allen Regeln der Kunst daran zu erinnern versucht, dass er einen Menschen vor sich hat, nicht einen Gegner, wird das alles ausformuliert: Er sei nicht aus freien Stücken Teil der Verwaltungsmacht in Palästina, meint der Brite. Seine Regierung hätte ihn hergeschickt. «Und das ist es doch, was ihr wollt, eine eigene Regierung,» sagt er zu Elisha: «Wenn ihr sie bekommt, dann passt bloss auf!».

Vorhaltungen, dass die Taten und Pläne des Untergrunds nicht mit dem Glauben an Gott zu vereinbaren seien, kontert Elisha mit dem wütenden Ausruf, Gott sei ein Freiheitskämpfer, ein Terrorist.

Parallelen in der tiefen Trauer

Joel Basman (rechts) als Elisha in «Dawn».
Legende: Joel Basman (rechts) als Elisha in «Dawn». Dschoint Ventschr

Der Film rekonstruiert eine historische Periode einerseits realistisch mit Kostümen, Automobilen und Schauspielern, die (inklusive Joel Basman) hebräisch sprechen, ein wenig englisch und französisch. Er beginnt mit einer Rückblende ins KZ, wo sich der junge Elisha bei einer Szene abwendet – später wird man sehen, worum es da ging. Elisha trauert seinen toten Eltern nach, und spricht zu ihnen in dieser langen Nacht, die ihn schliesslich zum Mörder machen wird. Und sein Kontrahent, der britische Gefangene, kommt in seiner Trauer um den eigenen Sohn Elishas Vater sehr nahe.

Der Film endet mit einer dokumentarischen Montage von kriegerischen und gewaltgeprägten Ereignissen aus der Geschichte Israels. Und illustriert damit seine zentrale These, dass Israel Terror nicht loswerden kann.

Zu einfach in der Zuspitzung

Und spätestens da kommt dieses am Anfang geschilderte Gefühl auf, kalt erwischt worden zu sein: Die Mischung aus historisierendem Realismus und bühnenreifem Durchspielen moralischer und ethischer Positionen wirkt am Ende etwas zu einfach in ihrer Zuspitzung; aus einer interessanten Versuchsanordnung ist eine Art gebrauchsfertiges Parolen-Stück geworden. Immer wieder sehr einleuchtend, durchgehend sehr gut gespielt und höchst professionell gefilmt und geschnitten, nach einem Drehbuch, das alle Regeln der Kunst souverän beherzigt.

Spielfilme, so meine gerade im Hinblick auf die jüngere Schweizer Produktion mehrheitlich bestätigte These, machen oft den Deckel zu, sie fassen eine Diskussion an jenem Punkt zusammen, an dem Konsens herrscht. «Der Verdingbub» ist ein Beispiel dafür, eben so wie die «Akte Grüninger». Das sind Filme, die mehrheitlich die Meinung ihres Publikums bestätigen, das Verdingkindersystem war Unrecht und schrecklich, die illegale Fluchthilfe für Juden aus dem Deutschen Reich richtig und nötig. Auch was «Dawn» postuliert, ist mehrheitsfähig: Gewalt erzeugt mehr Gewalt und die Rechtfertigung dieser Gewalt ist stets eine hoffnungslose Arbeit.

Was «Dawn» allerdings den beiden anderen Beispielen voraus hat, neben der sehr professionellen Machart, ist der Umstand, dass sich hier noch immer ideologische Lager gegenüberstehen, die sich ganz grundsätzlich für oder gegen den Film entscheiden werden.

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