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Film & Serien «TV-Serien haben der Türkei ein positives Image beschert»

Unzählige türkische Familien sitzen allabendlich in ihren Wohnzimmern, trinken Çay, knacken Sonnenblumenkerne – und schluchzen. Grund: Ab 20 Uhr ist in der Türkei Serienzeit. Die Serien sind so erfolgreich, dass Herzschmerzgeschichten vom Bosporus inzwischen selbst in der Politik eine Rolle spielen.

Vor dem riesigen Wohnzimmerfenster glitzert der Bosporus in der Sonne, eine Yacht schaukelt am Steg auf und ab, der direkt vom Haus ins Wasser führt … 35‘000 Türkische Lira – fast 20‘000 Franken – kostet die Monatsmiete für die Abud-Efendi-Villa an Istanbuls asiatischem Bosporusufer. Teuer? Nicht für die türkische Produktionsfirma, die das Anwesen gemietet hat. Ihre Erfolgsserie «Gümüş» (Silber), die hier gedreht wird, spielt die Miete locker wieder ein.

Grund: Die Türken sind im Serienfieber. Auf mehr als 1,5 Milliarden Franken wird das Geschäft mit dem Herzschmerz am Bosporus inzwischen geschätzt. Jedes Jahr produzieren die grossen TV-Kanäle des Landes im Schnitt 70 neue Soaps. Nur die USA schaffen noch mehr.

Türkische Serien sind Exportschlager und ...

Die Kassen der Produzenten klingeln vor allem, seit türkische Serien auch zum Exportschlager geworden sind. Mehr als 80 Länder stehen inzwischen auf der Kundenliste. Die Serie «Verrückte Herzen», um nur ein Beispiel zu nennen, wurde allein in Kasachstan 14 Mal hintereinander ausgestrahlt. Der dortige Polizeipräsident bedankte sich höchstpersönlich bei den türkischen Produzenten, weil in seinem Land allabendlich die Kriminalitätsrate sinke, seit die Bürger türkische Serien schauten.

... Touristenmagnet

«Als wir die Hauptdarsteller nach Kasachstan brachten, wurden sie dort von 10‘000 jubelnden Menschen empfangen», erinnert sich Firat Gülgen. Seine Istanbuler Firma Calinos ist auf den Export türkischer Serien spezialisiert. Das Geschäft, das vor einigen Jahren mit einem Koffer voller DVDs und ein paar Dollar pro Folge anfing, ist längst eine Goldgrube.

Der Grund? Firat Gülgen überlegt nicht lange: «Wir erzählen hier ganz einfach realistische Jedermann-Geschichten», meint er. Amerikanische Serien zum Beispiel seien zwar actionreicher, aber häufig eben auch unrealistischer. Kein arabischer Schuhputzer könne sich zum Beispiel mit einem Actionhelden aus CSI-Miami identifizieren – wohl aber mit dem türkischen Hausmeister, der versucht, seine Familie zusammenzuhalten. «Solche Geschichten funktionieren überall auf der Welt, egal ob in Bulgarien oder Algerien, Afghanistan oder Aserbaidschan», sagt Gülgen.

Herzschmerz als diplomatische Wunderwaffe

Und tatsächlich: Aus dem traditionell eher feindlich gesinnten Griechenland wird gar vermeldet, dass die Nachfrage nach Türkischkursen steigt, seit die Serie «Ezel» dort alle Rekorde brach. Reiseagenturen in Istanbul spezialisieren sich ausserdem darauf, arabische Serienfans an die Originaldrehorte ihrer Lieblingssoap zu bringen. Knapp eine halbe Millionen Besucher zahlten 50 Dollar Eintritt, um einmal die luxuriöse Abud-Efendi-Villa am Bosporusufer zu betreten.

Audio
Türkische Serien Geheimnis
04:34 min
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 34 Sekunden.

Doch nicht nur TV-Produzenten und Reisebüros profitieren, weiss Serienexporteur Firat Gülgen, der im vergangenen Jahr den türkischen Präsidenten Abdullah Gül nach Dubai begleiten durfte. «Der Grossteil der Fragen an den Präsidenten drehte sich tatsächlich um unsere Serien!», erinnert er sich halb stolz, halb belustigt. «Im Flugzeug sassen 200 türkische Geschäftsleute, die erklärten mir: Wir sprechen immer zuerst ein bisschen über Serien mit unseren arabischen Geschäftspartnern, dann erst über Verträge.»

«Soft Power» wird die Wunderwaffe aus Istanbul genannt, die türkischen Diplomaten und Geschäftsleuten weltweit Türen öffnet. «Schreiben sie heute im Nahen Osten auf irgendein Produkt ‹Made in Turkey› – und sie verkaufen es hundertprozentig», sagt Firat Gülgen. Er kann seinen Stolz kaum verbergen: «Die Serien haben der Türkei ein positives Image beschert!»

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