Schon Agatha Christie wusste es: Kriminalgeschichten – insbesondere diejenigen, in denen ein Mörder entlarvt werden muss – funktionieren besonders gut in einem engen, möglichst geschlossenen Umfeld mit limitiertem Personal – in abgelegenen Schlössern, in Zügen und auf Ozeandampfern, und vor allem: in kleinen Dörfern.
Bis heute verwenden Krimiautoren den Kunstgriff, ihre Handlung auf dem Land anzusiedeln, um die Intrige und ihre Protagonisten möglichst überschaubar zu halten. Doch sehr oft – schon bei Georges Simenon und Friedrich Glauser – funktioniert es umgekehrt: Das Dorf ist aufgrund seiner Grösse zwar der ideale Ort, um einen Mord anzusiedeln – aber ein Autor kann einen Kriminalfall auch nur als Vorwand einbauen, um das Landleben mit all seinen Schattenseiten abzubilden.
Auch viele moderne TV-Krimiserien spielen ganz bewusst nicht in Grossstädten, und dies aus unterschiedlichen Gründen. Diese acht Serien machen das exemplarisch vor:
1. Broadchurch (2013)
Ein tot aufgefundener Junge setzt eine Ermittlung in Gang. Der Verdacht richtet sich auf diverse Mitglieder der Kleinstadt, doch die Serie konzentriert sich nicht nur auf die Frage nach dem Schuldigen. Sie schildert vor allem, wie sich die Mordaufklärung auf die Gemeinschaft auswirkt: Das Klima wird vergiftet durch gegenseitiges Ausspionieren, Gerüchte und Drohungen. In der zweiten Staffel ist der Mörder bekannt, doch noch sind nicht alle schlafenden Hunde geweckt.2. Twin Peaks (1991)
51'201 Einwohner hat Twin Peaks gemäss der Ortstafel in der Titelsequenz. Diese viel zu grosse Zahl war gemäss dem Co-Autor Mark Frost eine Forderung der Auftraggeber von ABC Network, die das geplante 5000-Seelen-Dorf schlicht zu uninteressant fanden. Egal: Twin Peaks besteht aus einer Reihe von klar definierten Schauplätzen wie der «Packard Sawmill», dem «Great Northern Hotel» und dem «Double R Diner». Auf all diesen Orten scheint ein Fluch zu lasten – ein Gefühl, das in einer Grossstadt weit schwieriger zu erzeugen gewesen wäre.3. Midsomer Murders (1997)
Auch die langlebige Serie um Chief Inspector Barnaby ist unzertrennlich verbunden mit ihrem Schauplatz, dem fiktiven Bezirk Midsomer und seinen pittoresken Dörfern – und es gibt deren Aberdutzende – in denen immer wieder Leichen auftauchen. Die Serie schildert Niedertracht in idyllischen Landschaften und greift humorvoll Klischees auf, die mit dem ländlichen England in Verbindung gebracht werden. Gemessen an der Einwohnerzahl werden im unscheinbaren Midsomer übrigens doppelt so viele Morde verübt wie in London, hat jemand einmal ausgerechnet.4. Mord mit Aussicht (2007)
Die deutsche Erfolgsserie spielt in der Eifel, im beschaulichen Ort Hengasch im Kreis Liebernich – und wenn diese Namen komisch klingen, so ist das gewollt. Die rurale Kulisse ist vor allem Auslöser für viel Humor: Die Kölner Kriminaloberkommissarin Sophie Haas wurde hierher versetzt, und es liegt auf der Hand, dass ihre grossstädtischen Ermittlungsmethoden schlecht ankommen in einem Dorf, in dem auf dem Polizeirevier sonst eher eine ruhige Kugel geschoben wird und allenfalls der gesunde Menschenverstand zum Einsatz kommt.5. Dreileben (2011)
Der deutsche TV-Dreiteiler war ein Experiment der drei deutschen Regisseure Dominik Graf, Christian Petzold und Christoph Hochhäusler. Die Idee dahinter: Drei Filme spielen zur selben Zeit, am selben Ort und drehen sich um dieselben Ereignisse, sind jedoch individuell gestaltet und aus einer anderen Sichtweise gedreht. Der eigentliche Kriminalfall steht erst im dritten Film im Zentrum. Der fiktive Ort Dreileben ist deshalb eher klein gewählt, damit die Zuschauer sich besser zurechtfinden in der multiperspektivischen Erzählung.6. Der Bestatter (2012)
Auch in der Schweiz kann die Provinz gefährlich sein – das zeigt die Krimiserie «Der Bestatter». Der ehemalige Polizist Luc Conrad ist als Bestatter in Aarau tätig. In der vierten Staffel verschlägt es ihn ins fiktive Aargauer Dorf Morgenthal. Dort herrscht alles andere als idyllisches Landleben: Ein Serienmörder treibt sein Unwesen und die Dorfbewohner formieren sich zu einem gefährlichen Mob, der Jagd auf einen Sündenbock macht. In «Der Bestatter» ist das Vertraute gefährlich: Selbst von der eigenen Familie geht höchste Gefahr aus.7. Southcliffe (2013)
Im Mündungsgebiet der Themse, in einem fiktiven Ort in den Sümpfen des nördlichen Kents, kommt es zu einer blutigen Schiesserei mit zahlreichen Todesopfern. In der Folge werden die Umstände und die Gründe dieser Bluttat aufgerollt; auch die Schicksale der geschockten Angehörigen werden eindringlich thematisiert. Als Handlungsort dient eine Kleinstadt, weil hier kollektive Trauer und Traumatisierung viel stärker wirken als in der Anonymität einer Metropole.8. Fargo (2014)
Fargo selbst ist die grösste Stadt im US-Bundesstaat North Dakota, aber sie ist auch nicht der Schauplatz der Handlung, sondern nur der Herkunftsort eines Syndikats, das in der Serie seine Fühler ausstreckt. Vielmehr ist es die Kleinstadt Bemidji, Minnesota, in der die Ankunft eines fremden Auftragskillers eine Gewaltspirale in Gang setzt. Der Schnee und die Abgeschiedenheit des Settings suggerieren Ausweglosigkeit: Gewalt erzeugt Gegengewalt, und es gibt kein Entkommen – ausser den Tod.
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