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40 Jahre iranische Revolution «Der Islam wurde institutionalisiert und verpolitisiert»

Islamwissenschaftler Reza Hajatpour verfocht damals die iranische Revolution – und wurde enttäuscht.

«Wir erhofften uns persönliche Freiheit und soziale Gerechtigkeit», erinnert sich Reza Hajatpour. Der deutsch-iranische Islamwissenschaftler war vor 40 Jahren dabei, als Tausende im Iran gegen den Schah protestierten.

Als Teenager begann sich Hajatpour für die Religion zu interessieren. Das kam in seiner Familie nicht gut an. Wer Karriere machen wollte, wurde Beamter.

Reza Hajatpour

Islamwissenschaftler

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Reza Hajatpour wurde 1958 im Nordiran geboren. Zur Zeit der islamischen Revolution studierte er Theologie an der Universität in Ghom, dem Zentrum des schiitischen Islams im Iran.

Er beteiligte sich an den Strassenprotesten, war aber vom Ausgang der Revolution schnell enttäuscht. Hajatpour entfremdete sich vom Regime, aber auch von der theologischen Ausbildung und entschied 1986, ins Exil zu geben.

Via Türkei gelangte er nach Deutschland, wo er bis heute lebt. Unterdessen ist er Professor der Islamwissenschaft an der Universität Erlangen.

Website von Reza Hajatpour

Doch Hajatpour setzt sich durch. Mitte der 1970er-Jahre begann er sein Theologiestudium in Ghom, dem Zentrum des schiitischen Islam im Iran.

Islam als Inspiration

«Das Studium war für mich eine Erlösung, der Weg zu einem erfüllten Leben, und auch ein Mittel, mich vom despotischen System des Schahs zu distanzieren», sagt Hajatpour.

Auf der Strasse skandierten die Menschen «Gott, Koran, Chomeini», die Religion war ein Gegenmodell zum verhassten Schah, ein Identifikationsmerkmal der Iranerinnen und Iraner und auch der Kitt, der die verschiedensten oppositionellen Gruppen zusammenhielt.

Vom traditionellen Geistlichen über die bürgerlichen Bazaris bis hin zu den linken Parteien – allen diente der Islam als Inspirationsquelle.

Herrschaft der Rechtsgelehrten

Die kommunistische Partei etwa fand im schiitischen Islam die Grundlage für ihre Forderung nach einer gerechteren Gesellschaft: «Die Welt gehört Gott und Gott allein. Alle sollen gleichermassen daran beteiligt werden», erklärt Hajatpour die Argumentation von damals.

Ayatollah Chomeini mit Turban und Bart vor einem Mikrofon.
Legende: Entwickelte im Exil seine Theorie der Herrschaft der Rechtsgelehrten: Ayatollah Chomeini. Keystone

Sozialismus und Islam waren für die linken Parteien durchaus vereinbar. Doch Ayatollah Chomeini hatte etwas anderes im Sinn. Er hatte im Exil seine Theorie der vilayet-e-faqih entwickelt, der Herrschaft der Rechtsgelehrten.

Im schiitischen Islam spielen die Rechtsgelehrten oder Geistlichen eine wichtige Rolle (siehe Box). Im Iran, wo der Schiismus seit dem 16. Jahrhundert Staatsreligion ist, bildete sich eine Art Klerus, der mit den Herrschern zusammenarbeitete, aber auch als Korrektiv fungieren konnte.

Schiismus

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Die Schiiten unterscheiden sich von den Sunniten unter anderem in ihrem Glauben an den «entrückten» Imam. Nach dem Tod Mohammeds gab es für Schiiten eine Reihe rechtmässige Herrscher, sogenannte Imame.

Der letzte Imam aber wurde zunächst von seinem Vater versteckt und dann von Gott in die «grosse Verborgenheit entrückt». Dieser «entrückte» Imam, der Mahdi, soll eines Tages als Erlöser zurückkehren.

Bis dahin sorgen die Rechtsgelehrten, also die schiitischen Geistlichen, dafür, dass die religiösen Regeln eingehalten werden. Einen rechtmässigen weltlichen Herrscher kann es aber bis zur Rückkehr des Mahdis nicht geben.

Diese Geistlichen sollten nun die Regierung des Irans übernehmen, fand Ayatollah Chomeini. Er setzte seine Ideen rücksichtslos durch. Einstige Mitstreiter wurden zu Gegnern, wurden verfolgt und aus dem Weg geräumt.

Kritik am politischen Islam

Der Islam sei damit von einem Symbol der Einigkeit zu einem Symbol für einen diktatorischen Staat geworden, kritisiert Hajatpour. «Der Islam wurde institutionalisiert und verpolitisiert», sagt er.

Man habe der der Religion den spirituellen Kern, die individuelle Glaubenserfahrung genommen, erklärt Hajatpour weiter, «und ersetzte sie mit Regeln wie Schleierzwang und Körperstrafen.»

Das habe auch Auswirkungen auf die Religiosität der Iraner. «Viele sind enttäuscht von der Religion. Sie glauben, das Problem liegt im Islam selbst.»

Hajatpour glaubt, dass die Religion heute eine geringere Rolle spielt im Leben der Iranerinnen. Eine Ansicht, die in den grossen Städten zutreffen mag. Auf dem Land sieht es anders aus.

Entfremdung, neue Heimat

Hajatpour blieb nach der Revolution im Iran und setzte sein Theologiestudium fort. Er meldete sich gar freiwillig zum Militärdienst im Krieg gegen den Irak. Doch innerlich entfremdete er sich immer mehr von seinem Umfeld in Ghom.

Als Geistlicher wurde zudem von ihm erwartet, zu unterrichten und Ratschläge zu erteilen. Das Regime zu verteidigen bereitete ihm immer mehr Mühe.

1986 floh er in die Türkei, später reiste er nach Deutschland. Heute, sagt er, möchte er nicht mehr zurück in den Iran. Deutschland sei seine Heimat.

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