Das soll ihm erstmal einer nachmachen: Johann Ludwig Burckhardt entdeckt mit nur 32 Lebensjahren eines der sieben neuen Weltwunder und eines der wichtigsten Weltkulturerben.
1812 fand der Basler die als verschollen geltende jordanische Felsenstadt Petra. 1813 stiess er in Oberägypten auf den vom Wüstensand verschütteten Eingang des grossen Ramses-Tempel von Abu Simbel.
Das alles gelang ihm nur dank guter Kontakte zu den Einheimischen, insbesondere zu ortskundigen Nomaden. Um deren Vertrauen zu gewinnen, tarnte er sich als muslimischer Kaufmann aus Indien.
Aus Johann wird Ibrahim
Drei Jahre hatte der Basler seine Rolle als Muslim namens Scheich Ibrahim ibn Abdallah einstudiert – also Scheich Ibrahim, Sohn des Abdallah. Er studierte in Cambridge Arabisch, beobachtete die islamischen Sitten und trainierte sich im Fasten und im Erdauern körperlicher Strapazen.
Denn seine Forschungsreisen würden ihn oft wochenlang durch Wüsten führen. Immer wieder riskierte der junge Mann aus gutem Hause sein Leben.
Eine neue Identität
Am gewagtesten dürfte seine Pilgerreise nach Mekka gewesen sein, zum innersten Heiligtum des Islams. Hätte ihn jemand als Nicht-Muslim enttarnt, wäre er umgebracht worden.
Aber ist er vielleicht in all den Jahren tatsächlich zum Islam konvertiert? Aus innerster Überzeugung? In Ägypten geht man davon aus.
Letze Ruhe in Kairo
Sicher ist, dass seine Liebe für den Nahen Osten und sein Interesse am Islam echt waren. Als er 1817 in Kairo tödlich an der Ruhr erkrankt darniederlag, wünschte er sich, in dieser Stadt und gemäss islamischem Ritus bestattet zu werden.
200 Jahre nach seinem Tod ist das Grab immer noch intakt. Es liegt auf dem Bab-el-Nasr-Friedhof, am Rande des alten Kairos. Vor einigen Jahrzehnten wurden Mauern und ein Dach gebaut, um den Sarkophag und den Grabstein zu schützen.
Schmuck und Souvenirs für die Grabkammer
Tausende von Muslimen liegen rundherum begraben, weitere Tausende armer Menschen leben hier unter den Toten. Eine von ihnen wacht über Burckhardts Grab.
Sie reinigt es regelmässig und schmückt die Kammer mit bunten Ketten, Kordeln, Teppichen und Plastikblumen. Nagla heisst die etwa 40 Jahre alte, etwas korpulente Frau. Sie hat den Schlüssel zur Grabkammer und ist jedes Mal hocherfreut, wenn Besucher bei ihr um Einlass bitten.
Verehren und verdienen
Ihre Wertschätzung Burckhardts wirkt echt. «Ich erzähle hier allen von Scheich Ibrahim und seinen Errungenschaften», sagt sie. «Er ist hier allen bekannt.»
Nicht zuletzt ist Burckhardt Negles wichtigste Einkommensquelle: Sie und ihre Familie leben vom Trinkgeld der Besucherinnen und Besucher. Zu acht wohnen sie keine 50 Meter weiter in der Grabkammer ihrer eigenen Vorfahren.
Viel Trubel im Todesjahr
Während der Sommerhitze war hier zwar nicht viel los, wie die Grabwächterin erzählt. Doch insgesamt war es bisher ein gutes Jahr für Negle, dieses 200. Todesjahr Burckhardts.
Ein deutsches Fernsehteam hatte im Frühling den ganzen Tag gefilmt, eine Delegation der Schweizer Botschaft war zu Besuch und eine Burckhardt-Sonderausstellung im Ägyptischen Museum hat das Interesse an dem Schweizer Muslim neu entfacht.
Das Weltwunder im Wüstensand
Als Nächstes wird Johann Ludwig Burckhardt in Abu Simbel gefeiert. Genau 200 Jahre ist es her, dass der italienische Abenteurer Giovanni Battista Belzoni den Tempel vom Sand freischaufeln liess. Das war allerdings nur dank der Lagebeschreibung von Kollege Burckhardt möglich.
Zwei Mal im Jahr beleuchtet die aufgehende Sonne genau das Tempelinnere, am 22. Oktober ist es wieder so weit. Dieses Mal wird das Spektakel von Gedenkreden an Belzoni und Burckhardt begleitet werden.
Burckhardt, der Brückenbauer
Gefeiert wird ein ägyptisch-italienisch-schweizerisches Wunder. Dabei ist das grösste Wunder im Grunde Johann Ludwig Burckhardt selbst, der vor über 200 Jahren eine ungewöhnliche Kombination aus Mut, Entdeckungslust, Schauspielkunst, Islamkenntnis und Instinkt an den Tag legte.
Er dürfte auch als friedensvermittelnde Figur wiederentdeckt werden: In seiner Person vereint er Ost und West, Islam und Christentum. Dass er zudem heute eine arme, achtköpfige Familie ernährt, dürfte auch ihn überraschen.