Der «Ranz des Vaches» ist noch da. Das Lied vom Sennen, der seine Kühe zum Melken ruft, ist eines der Überbleibsel der franko-provenzalischen Sprache.
In der Romandie hat der «Ranz des Vaches» Kultstatus. Seit Jahren ist es Teil jeder «Fête des Vignerons» in Vevey. Als legendär gilt die Version von 1977 – gesungen vom Greyerzer Alpsenn Bernard Romanens.
Der Text des «Ranz des Vaches» ist franko-provenzalisch. «Patois» nennen die meisten Leute diese Sprache. Sprechen tun sie nur noch ein paar 100 Menschen in der Romandie.
Das war vor 200 Jahren noch ganz anders: Da war Patois die Hauptsprache der Menschen zwischen Grenoble und Freiburg, zwischen dem Neuenburger Jura und dem Aostatal.
Die Schule war schuld
Doch mit der Einführung der Schulpflicht ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm die Zahl der Patois-Sprechenden rasant ab.
An der Schule war Französisch Unterrichtssprache. Kinder, die Patois sprachen, wurden bestraft. Patois galt als bäurisch und hinterwäldlerisch, während Französisch als die Sprache der Gebildeten angesehen wurde.
Französisch ab Fabrik
Auch die Industrialisierung trug dazu bei, dass immer weniger Menschen Patois sprachen. Viele Menschen zogen in die Wirtschaftszentren, um in den Fabriken Arbeit zu finden. Die Bevölkerung vermischte sich.
Französisch war bereits die überregionale Verkehrssprache gewesen. Nun wurde es zur Hauptsprache in den industrialisierten Gebieten. Im 19. und 20. Jahrhundert wurden auch die Menschen in den abgelegenen Gebieten in den katholischen Kantonen Freiburg und Wallis mobiler und moderner – und gaben zu grossen Teilen ihre Sprache zugunsten des Französischen auf.
Noch nicht ausgestorben
Ganz ausgestorben ist das Westschweizer Patois allerdings nicht. Einige Menschen in der Romandie sprechen es noch. Zum Beispiel jeden Sonntagmorgen in der Radiosendung «Intrè-no» (deutsch: «unter uns») auf «RadioFr», einem Regionalsender im Kanton Freiburg.
Im Dorf Evolène VS gibt es noch ganze Familien, deren Hauptsprache Patois ist. Und es werden auch Patois-Sprachkurse angeboten, zum Beispiel an einigen Sekundarschulen.
Kleine Patois-Renaissance
Ausserdem werden in den Kantonen Freiburg und Wallis jährlich mehrere Theaterstücke auf Patois aufgeführt – mit vielen ausverkauften Vorstellungen. Und Patoisants-Treffen ziehen ein grosses Publikum an – deutlich mehr als noch vor zehn Jahren.
Man kann also durchaus von einer kleinen Renaissance des Patois sprechen. Das bestätigt auch der Dialektologe Raphaël Maître: Patois habe als Kulturgut einen höheren Stellenwert als noch im letzten Jahrhundert.
Den Tod hinauszögern
Dass Patois in Zukunft aber wieder von vielen Menschen im Alltag gesprochen werde, glaubt Raphaël Maître nicht. Die aktuelle Renaissance trage lediglich dazu bei, das Aussterben des Patois etwas hinauszuzögern.
Als Alltagssprache wird Patois verschwinden. Überleben wird es zum Beispiel als Akzentfärbung im Westschweizer Französisch. Oder eben als Kulturgut – dafür ist der «Ranz des Vaches» das beste Beispiel.