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«Atlas der digitalen Welt» Wo halten wir uns eigentlich die ganze Zeit im Netz auf?

Das Angebot im Netz ist fast unendlich. Oft halten wir uns aber nur auf wenigen Sites auf. Warum?

Wie gross ist eigentlich das Internet? Ist das eine dumme Frage? Oder ist es nicht doch eher eine dieser Fragen, die harmlos und naiv klingen, bei deren Beantwortung man aber ins Haareraufen kommt?

Martin Andree und Timo Thomsen haben sich diese und ähnliche Fragen zum Internet vorgenommen und nachgeforscht: Was genau passiert im World Wide Web?

Hände am Computer
Legende: In Deutschland gibt es 16 Millionen Domains – besucht wird aber nur ein Bruchteil davon. Imago Images / Westend61

Sie haben Bewegungsströme untersucht: Wer geht warum wohin? Wie oft? Wie lange?

Martin Andree ist Medienwissenschaftler an der Universität Köln. Timo Thomsen Global Head of Product & Innovation an der GfK Gesellschaft für Konsumforschung in Nürnberg. Für ihre Forschungen haben sie drei Monate lang die Internetbewegungen von 16'000 User*innen in Deutschland verfolgt.

Nur wenige profitieren

Sie haben dabei festgestellt: Es gibt eine Menge Verkehr im Internet. Aber es profitieren nur wenige davon.

Buchhinweis

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Martin Andree, Timo Thomsen: «Atlas der digitalen Welt», Campus Verlag 2020

Die 16'000 User*innen, deren Internet-Bewegungen in die Studie eingegangen sind, haben 132'000 Websites besucht. Das klingt nach breitgestreuter Bewegung.

Tatsächlich machen diese 132'000 Websites aber nur einen winzigen Teil dessen aus, was in den digitalen Weiten des Internets schlummert. Allein in Deutschland sind aktuell über 16 Millionen Domains registriert.

Konzentration der Aufmerksamkeit

Das Angebot im Netz ist also immens. Und es wächst noch immer.

Doch wenn man schaut, wie oft die Seiten von unterschiedlichen Nutzer*innen angesteuert werden, wie lange sie auf den Seiten unterwegs sind, also wie intensiv die Seiten genutzt werden, ergibt sich ein ganz anderes Bild: Die Aufmerksamkeit der User konzentriert sich auf rund zehn Top-Sites und -Apps wie Youtube, Google, Facebook, Amazon, Apple.

Es sind bekannte Namen. Überraschend ist es nicht, dass sie in der Hitliste stehen. Die extreme Konzentration des Internet Traffics auf ein Dutzend Angebote und dem gegenüber Millionen von Seiten, die praktisch nie angeklickt werden, ist doch frappierend.

Die Starken werden stärker

Wie kommt es zu solchen Konzentrationen? Es gibt verschiedene Faktoren. Suchmaschinen etwa begünstigen den Sog grosser Anbieter.

Bei den Social-Media-Sites spielen zudem geschlossene Standards eine grosse Rolle. Im Gegensatz dazu arbeiten E-Mails, die als neue Kommunikationsform in den 1980er-Jahren entstanden, mit offenen Standards: Man kann sie von jeder beliebigen Email-Adresse an jede beliebige Email-Adresse senden, egal, ob die Adressinhaber Gmx oder Gmail benutzen.

Geschlossene Standards hingegen sorgen dafür, dass User*innen nur innerhalb eines bestimmten Systems Nachrichten austauschen können. Eine Twitter-Nachricht kann nicht auf Instagram gelesen werden.

Zahlen, Fakten, Daten

Der grosse Erfolg einiger Anbieter in der digitalen Welt hat Rückwirkungen auf die reale Welt. Bei Amazon, Youtube und anderen geht es um Umsätze.

Wie die digitale Welt die reale Welt verändern kann und wird, lassen die Autoren bewusst offen. Der «Atlas der digitalen Welt» versteht sich als Grundlagenforschung. Er liefert vor allem Zahlen zum Ist-Zustand. Und die Anregung, weiterzuforschen, wachzubleiben, sich nicht einfach in die digitale Welt hineintreiben zu lassen.

SRF 2 Kultur, Kontext, 07.12.2020, 17:58 Uhr

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