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Beschimpfungen im Netz Was tun gegen den Hass?

Beschimpfungen, Vergewaltigungsandrohungen, Rassismus, Hetze. Nicht nur das Internet ist voll davon. Weshalb? Was tun?

«Hass ist derzeit so verbreitet, dass man Gefahr läuft, sich daran zu gewöhnen», sagt Miryam Eser. Sie forscht an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) zu Extremismus und Radikalisierung. Und wenn die Hasssprache zur Gewohnheit wird, verschieben sich die Grenzen des Sagbaren. «Heute hört man antisemitische Äusserungen, die man vor zehn Jahren noch nicht gehört hätte», stellt sie fest.

Was tun? «Ganz überwinden lässt sich der Hass nicht», kommt Miryam Eser zum Schluss. «Wichtig sind aber die Signale, die die Gesellschaft aussendet.» Hier sind wir gefragt. Die Zivilgesellschaft muss hinschauen und reagieren.

Wie kann man den Hass bekämpfen?

Miryam Eser hat in 17 Gemeinden untersucht, wie diese mit Extremisten umgegangen sind. Sie hat festgestellt: Wenn Schule, Jugendarbeit, Lehrmeister, Eltern und Gemeindepolitiker zusammenarbeiten, lässt sich Extremismus nachhaltig vermindern. Kurz: Man muss im Gespräch bleiben, gefährdete Personen einbeziehen und nicht wegschauen und bloss hoffen, diese Entwicklungsphase gehe schon irgendwie vorüber.

Psychoanalytiker und Philosoph Daniel Strassberg sieht es pessimistischer: «Ich glaube nicht, dass man etwas tun kann. Aufklärungsarbeit und sachlicher Journalismus bringen nichts. Denn das Gefühl des Hasses hat nichts mit Sachargumenten zu tun.»

«Hass gehört zum Menschen»

«Hass gehört zum Menschen», erklärt Strassberg. «Hass ist eine wichtige frühkindliche Entwicklungsphase, die im Normalfall aber überwunden wird.» Er hält deshalb die Vorstellung, man könne oder müsse den Hass ausrotten, für falsch.

Steuern wir also auf eine hassdominierte Gesellschaft zu? «Meine einzige Hoffnung ist, dass das Pendel wieder einmal zurückschlägt und eine andere Strömung Oberhand gewinnt.»

Fremdenhass ohne Fremde

In der Tat ist Hass heute sehr präsent. Bei den ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Sachsen. Im Denken der Linksautonomen, die der Polizei und dem Staat schlechthin «Hass und Tod» androhen. Bei Islamisten, die den Westen zum Feindbild aufbauen. Und im Internet, wo Beleidigungen und Drohungen gegen Andersdenkende zum Alltag geworden sind.

Charakteristisch für die Gegenwart: Gegner oder Opfer existieren oft nur in der Fantasie der Hassenden. «Der Antisemitismus in Polen würde auch existieren, wenn es keine Juden gäbe», erklärt Daniel Strassberg. Genauso in Sachsen: «Dort ist der Hass auf die Fremden ein Hass fast ohne Fremde.» Die Hassfigur dient einzig dazu, den Hass, den man in sich spürt, abzureagieren.

Warum brauchen Menschen überhaupt einen Sündenbock? Es gibt zwei Gründe: «Die Gegner, die einem wirklich im Weg stehen, sind so unangreifbar geworden, dass man den Hass auf die Schwächeren lenkt», sagt Strassberg. Zweitens: «Es sind Schranken gefallen. In etlichen Ländern sind Menschen ohne Hemmungen an die Macht gekommen. An denen orientiert man sich. Es wird gemacht, weil es erlaubt ist.»

Wie wird jemand zum Hasser?

Menschen entwickeln sich aber nicht einfach so zu Hassern. Das sei ein längerer Prozess, stellt die Sozialwissenschaftlerin Miryam Eser fest. «Wer sich einer Gruppe zuordnet und deren Ideale teilt, verengt seinen Horizont bisweilen zu einem Tunnelblick», sagt sie. Wenn man sich also kaum mit Menschen trifft, die andere Ansichten haben, hat man plötzlich eine sehr einfache und einseitige Weltsicht.

Der Radikalisierungsprozess verläuft bei allen Extremismus-Formen ähnlich – ob Linke, Rechte oder Islamisten. «Speziell beim Rechtsextremismus ist, dass man bewusst über Hassreden Zustimmung finden will. Indem Rechtsextremisten sagen: Wir sprechen die Dinge an», erläutert Sozialwissenschaftlerin Eser.

Hasser sind überzeugt vom eigenen Standpunkt

Eine gefährliche Tendenz – genauso wie die islamistische Parole vom dekadenten Westen, der den Islam und die Muslime vernichten will. Auch auf linksextremer Seite gibt es bedenkliche Äusserungen: Sie wünschen etwa Polizisten den Tod oder bauen den Staat zum Feindbild auf.

«Hasser sind so überzeugt vom eigenen Standpunkt, dass man sich nicht mehr ins Gegenüber versetzen kann. Sie teilen die Welt in Freund und Feind», sagt Miryam Eser. So können sich starke Emotionen wie Wut und Hass verfestigen. Was tun? Miryam Eser hat es bereits gesagt: Nicht wegschauen. Und mit gefährdeten Personen im Gespräch bleiben.

«Leider gibt es Gesetzeslücken»

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Jean-Christophe Schwaab
Legende: KEYSTONE/Peter Klaunzer

SRF: Die Bundesverfassung garantiert die Meinungs- und Informationsfreiheit. Darf man alles sagen?

Jean-Christophe Schwaab: Nein, wie jedes Grundrecht ist die Meinungsfreiheit wichtig, aber sie hört dort auf, wo sie andere Grundrechte angreift, zum Beispiel die Menschenwürde. Oder wenn der Rechtsstaat oder die Demokratie in Frage gestellt werden.

Neben den Strafrechtsbestimmungen gegen Rassismus und Ehrverletzung – welche Schranken gibt es in der Schweiz gegen Hassrede?

Leider gibt es Gesetzeslücken. Der Identitätsdiebstahl etwa ist nicht strafbar, die Homophobie auch nicht. Öffentliche Personen wie Politikerinnen und Politiker müssen heute mehr hinnehmen, im echten Leben und Online.

Viele Beschimpfungen im Internet richten sich gegen Frauen, Flüchtlinge und Ausländer. Haben sie Instrumente zur Verfügung, um eine Klage einzureichen?

Nein. Die Antirassismus-Strafnorm würde hier nicht greifen. Und wenn ein lokales Strafgericht gegen mehrere hundert oder Tausende von Personen, die sich im Netz geäussert haben, vorgehen müsste, wäre das unmöglich. Ein spezialisiertes Gericht wäre vermutlich brauchbar.

Sie sprechen von Fällen mit sehr vielen Tätern.

Da gibt es eine weitere Lücke im Strafgesetzbuch. Wenn es einen Guerilla-Angriff gegen eine Person gibt, einen Shitstorm, ist vielleicht nicht jede der Äusserungen strafbar. Aber die Anzahl macht das Leben des Opfers sehr schwierig.

Welche gesetzlichen Massnahmen wären nötig, um die Hassrede in den Griff zu bekommen?

Es braucht mehr Möglichkeiten, einfach und schnell zu klagen. Wahrscheinlich auch Sammelklagen insbesondere bei diesen Guerilla-Attacken. Die sozialen Netzwerke müssen verpflichtet werden, mit der Schweizer Justiz zusammenzuarbeiten. Ohne die Ausrede, die Daten seien in den USA oder in Irland.

Wenn sie die Daten haben, die es erlauben, die Täter zu identifizieren, müssen sie diese Daten an die Schweizer Justiz liefern. Punkt. Das ist auch eine Frage der Souveränität.

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