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Gesellschaft & Religion «Blasphemische Gedanken» – Ein Buch zum Islam, das polarisiert

Der Star-Philosoph Slavoj Žižek hat nach den Attentaten von Paris im Januar ein Buch geschrieben über das Verhältnis von Islam und Moderne. «Blasphemische Gedanken» ist nur teilweise ein Gewinn: Das Buch enthält keine griffigen Ideen und einigen der Gedanken mag man beim besten Willen nicht folgen.

Der Westen paktiert mit feudalistischen Grossgrundbesitzern in Pakistan, er verkauft Waffen an jeden, der sie bezahlen kann, stützt Diktaturen und stürzt sie nach Belieben, sobald sie seinen Interessen nicht mehr dienen. Die Diagnose: Der Liberalismus ist kraftlos und inkonsequent, seine multikulturelle Toleranz nur ein Zeichen der Schwäche, ein Sich-Drücken um eine klare Haltung.

Zu diesem Fazit kommt der Starphilosoph Slavoj Žižeks in seinem jüngsten Werk «Blasphemische Gedanken», ein kleines Büchlein, das das Verhältnis von Islam und Moderne beleuchten soll.

Slavoj Žižek

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Legende: Imago/Costas Mitropoulos

Der slowenische Philosoph und Kulturkritiker Slavoj Žižek befasst sich unter anderem mit Politischer Theorie, Filmwissenschaft und Psychoanalyse. Er ist Professor für Philosophie an der Universität Ljubljana und hat über 20 Monographien veröffentlicht. Auch dank seinem zuweilen populärwissenschaftlichen Stil gilt er als «Star-Philosoph».

Der Irrtum der islamischen Fundamentalisten

Klar und gewinnbringend sind die Gedanken des Philosophen vor allem, wenn er sich mit dem Westen beschäftigt. Grundbestandteil ist immer linke Kapitalismuskritik. Das westliche System sei in seiner Wirkung auf die arabische Welt unglaubwürdig, schreibt Žižek: «Der liberale Westen ist deshalb so unerträglich, weil er Ausbeutung und Gewaltherrschaft nicht nur praktiziert, sondern diese brutale Realität wie zum Hohn als ihr genaues Gegenteil verkleidet, nämlich als Freiheit, Gleichheit und Demokratie.»

Die islamistischen Fundamentalisten hingegen unterlägen einem Irrtum: Sie würden den Westen um seine vermeintliche Stärke beneiden, ihn insgeheim bewundern und an ihren eigenen Werten zweifeln. Oder, in den Worten Žižeks: «Wie anfällig muss der Glaube eines Muslims sein, der sich von einer dummen Karikatur in einer satirischen Zeitung bedroht fühlt?»

Schwache Linke hat Schuld am Fundamentalismus

Die Ursache für den Aufstieg des muslimischen Fundamentalismus sieht der Philosoph in der Schwäche der Linken. Der Aufschwung der Einen sei in Wechselwirkung mit dem Niedergang der Anderen verlaufen. In Anlehnung an Walter Benjamins «alte Einsicht, dass jeder Aufstieg des Faschismus von einer gescheiterten Revolution zeugt», kommt Žižek zum Schluss, dass es in den muslimischen Staaten «ein revolutionäres Potential gab», das die Linke nicht zu nutzen wusste. Also füllten die Fundamentalisten die Lücke und übernahmen die Deutungshoheit.

Žižeks Lösungsansatz: Hier wie dort müsse die Linke gestärkt werden, und man müsse konsequent auf den universellen Werten beharren: Aufklärung, Menschenrechte und Demokratie dürften nicht bloss schöne Worte sein, sie müssten vielmehr durch politisches Handeln gestützt werden.

Die verhüllte Muslimin – ein Symbol für den Phallus?

Bloss, und das ist eine Schwäche von Žižeks «Blasphemischen Gedanken»: Wer da was tun soll, was genau «der Westen» ist und wer die Kräfte sind, die sein Geschick bestimmen – das bleibt in diesem Büchlein schwammig. Die Argumentation ist bruchstückhaft, oft vage, häufig bleibt sie ein ungeordneter Haufen, in dem die Gedanken roh auf- und nebeneinanderliegen.

Denn überallhin mag man Slavoj Žižek nicht folgen. Seine psychoanalytische Lektüre von Bibel- und Koranstellen zur Stellung der Frau beispielsweise erhellt wenig, denn es fehlt der Bezug zum realen Leben ausserhalb der Bücher. Was man mit der Feststellung anfangen soll, die vollständig verhüllte Muslimin symbolisiere einen Phallus, bleibt schleierhaft. Und ob Žižeks Exegese wirklich den Bewusstseinsstand im Westen wie in muslimischen Kreisen widergibt, darf bezweifelt werden. Zumindest für die christliche Welt lässt sich feststellen, dass die Heilige Schrift seit einem halben Jahrhundert kaum mehr ein Faktor ist, der die Gesellschaft prägt.

Verführung und Vergewaltigung

Ein anderes Beispiel: Žižek lässt sich auf einen Text des saudisch-amerikanischen Anthropologen Talal Asad ein. Dieser vergleicht die Verführung, die dem westlichen System innewohnt – die Verführung zwischen den Geschlechtern und auch durch die Welt der Waren und Produkte – mit der Vergewaltigung einer Frau. Der Westen verurteile die Vergewaltigung, feiere aber die Verführung, die als Ausdruck individueller Freiheit gelte, schreibt Asad.

Der islamischen Welt dagegen sei diese Manipulation Anlass zu grosser Sorge. Wenn Žižek daraufhin Verführung und Vergewaltigung gegeneinander abwägt, wirkt das nutzlos. Denn die Gesetze und die gesellschaftlichen Normen des Westens sind klar und nicht aufgrund von philosophischen Spitzfindigkeiten zu hinterfragen.

Buchhinweis

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Slavoj Žižek: «Blasphemische Gedanken – Islam und Moderne.» Ullstein, 2015.

Ein Buch, das niemanden weiterbringt

Slavoj Žižeks Buch «Blasphemische Gedanken – Islam und Moderne» ist keine Handlungsanleitung, wie sich das Verhältnis zwischen der westlichen und der islamischen Welt entschärfen liesse. Die universellen Werte zu betonen löst das Problem des Terrorismus kein bisschen. Für wen genau der Philosoph in diesem Ringen welche Aufgabe vorsehen würde, welche Massnahmen oder Denkprozesse einen konstruktiven Beitrag leisten könnten: Griffige Ideen finden sich in dieser Schrift nicht. Ein Büchlein mehr zum Thema, das niemanden weiterbringt im «Kampf der Kulturen».

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 13.4.2015, 6.45 Uhr.

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