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Gesellschaft & Religion Bodenbürsten, Badesalz und gutes Benehmen

Sie klappen den Musterkoffer auf dem Stubentisch auf, präsentieren Möbelpolitur und Massageöl: die Verkaufsberater. Ein Blick in die Geschichte des Direktverkaufs in der Schweiz zeigt, dass es unter der Tür vor allem um die richtige Beziehung zur Kundin geht. Und das will gelernt sein.

Tag für Tag, landauf, landab, von Tür zu Tür − das ist das Geschäft der Handelsreisenden. Als Hausierer beschimpft oder als Vertreter geschätzt, sind sie mit einem delikaten Auftrag unterwegs: Sie sollen Waren an die Hausfrau bringen, die heute auch im Supermarkt zu haben wären, von Haarbürsten über Handcremen bis zum Hühneraugenpflaster.

Er weiss, was Frauen wollen

Trotz Einkaufszentren und Online-Shops floriert der Direktverkauf von Waren wie Bodenbürsten und Badesalz auch heute noch. Denn dieser Handel unter der Haustür lebt vom persönlichen Kontakt. Der Verkaufsberater kennt die Kundin und weiss, was sie braucht: Der Direktverkauf ist ein Beziehungsgeschäft.

Die Reisenden sollen unterwegs jede auch noch so unvorhergesehene Situation meistern. Dafür werden sie explizit geschult. Wie das im 20. Jahrhundert in der Schweiz geschah, zeigen die Historikerinnen Iris Blum und Heidi Eisenhut in ihrem Buch «Von Tür zu Tür».

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Schulungsfilm von 1955: Begrüssung der Berater
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Die beiden Autorinnen greifen auf Instruktionsbroschüren und Schulungsfilme zurück, die sie im Archiv des traditionsreichen Familienbetriebes «Just» aufgestöbert haben. Die Firma im appenzellischen Walzenhausen ist seit 1930 im Direktverkauf tätig.

Tadellos, von Kopf bis Fuss

Das Unternehmen legte von Anfang an Wert darauf, dass die Vertreter vom Scheitel bis zur Sohle gepflegt erscheinen. Sie sollen die Krawatte richtig binden, das Jackett bürsten und die Schuhe polieren. Sie umgehen Fettnäpfchen und vermeiden Fauxpas wie Dreitagebärte, Schuppen auf dem Kragen, lange Fingernägel und ausgebeulte Hosentaschen. Gewarnt wird auch vor Parfum, knalligen Farben und extravaganten Anzügen. Und: Die Verkaufsberater sollen nicht den Schürzenjäger spielen.

Doch nicht nur das Äussere zählt. Der Vertreter ist ebenso ein Experte für das Innenleben: Er kümmert sich um das traute Heim und weiss, wie viel Arbeit die Hausfrau hat. Noch in den 1950er-Jahren waschen viele Mütter die Babywindeln von Hand, heizen den Ofen mit Holz und arbeiten im eigenen Gemüsegarten. Dies alles schadet den Händen und belastet den Rücken. Eine Salbe für rissige Hände und ein belebendes Badesalz machen da manches wieder gut.

Ein versierter Vertreter ist sich bewusst, dass er nicht nur Bürsten verkauft, sondern auch Sauberkeit. Ein Schrubber, der in alle Ecken kommt, ist da ein guter Freund und Helfer − wie der Verkaufsberater selbst, der ins Haus kommt, um der Kundin die Arbeit zu erleichtern. Welcher Mann sonst verfolgt dieses hehre Ziel?

Beim Thema Schönheit aufs Ganze gehen

Im Koffer hat er gleich zwei Ingredienzen zur Hand, die das Herz der Schweizer Hausfrau höher schlagen lassen: Putzmittel und Kosmetika. Denn im Geschäft unter der Tür geht es bereits Mitte des 20. Jahrhunderts nicht mehr nur um die Sauberkeit des Haushalts, sondern auch um die Schönheit der Hausfrau.

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Schulungsfilm von 1955: «Mit frohem Beginnen zum Erfolg»
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Dies macht das Geschäft noch delikater: Da muss der Vertreter aufs Ganze gehen, um das volle Vertrauen der Kundin zu gewinnen. Vorzugsweise macht er ihr ein paar Komplimente, die sie nicht jeden Tag hört. Aber er soll nicht gleich den Fuss in die Tür stellen.

Geschichten, die das Vertreter-Leben schrieb

Das Rollenspiel muss also präzis einstudiert sein. Dann eröffnet sich dem Verkaufsberater ein grosses Potenzial. Er wird die Waren los und macht sein Geschäft – und kommt zu Stoff, den das Leben schreibt und der manchen Schriftsteller neidisch werden liesse. Denn wer so viel unterwegs ist, wer so manches Wohnzimmer von innen sieht, bekommt einiges zu hören und sehen.

Literaturhinweis

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Iris Blum und Heidi Eisenhut: Von Tür zu Tür. Geschichten rund um Just-Berater und Handelsreisende. Appenzeller Verlag, 2012.

Vertreter treten manchmal auch in der Literatur auf: So versetzt der Hausierer Bleiss in Elias Canettis «Komödie der Eitelkeit» mit den verbotenen Spiegeln, die er aus dem Musterkoffer zieht, die Frauen in Entzücken.

Doch seit der Mitte des 20. Jahrhunderts verlieren sich die literarischen Spuren der reisenden Verkäufer. Im bekannten Drama von Arthur Miller von 1949 ist der Tod eines Handlungsreisenden Programm. In der realen Welt aber gehen die Männer weiter auf ihre Tour. Und seit Ende der 1960er-Jahre sind auch Frauen als Verkaufsberaterinnen unterwegs. So kommt es vor, dass die Rollen vertauscht sind: Sie klingelt, und er macht auf.

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Aus ECO vom 26.05.2008.
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