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Gesellschaft & Religion Definitiv kein Religionskrieg

Jörg Armbruster war Ende März für einen ARD-Film über den Nahen Osten in Syrien unterwegs. Dann wurde er in Aleppo lebensgefährlich verletzt, als er Medikamente in ein Krankenhaus bringen wollte. Dank einer Notoperation in Syrien überlebte er. In einem Interview schildert er seine Eindrücke.

Frage: Wie geht die Zivilbevölkerung in den Konfliktgebieten mit der Kriegssituation um?

Die Bevölkerung ist zwischen den Fronten zerrieben und völlig verzweifelt. Sie kann sich mit den Zielen der Rebellen nicht wirklich identifizieren, da es sehr unterschiedliche Rebellengruppen mit sehr unterschiedlichen Zielen gibt. Es ist kaum jemand da, der sich wirklich um sie kümmert, auch keine NGOs aus dem Westen.

Die islamistischen Rebellen hingegen, die Djihadisten, die haben die Taschen voll Geld, und das können sie verteilen. Es ist Geld, das aus Katar und Saudiarabien stammt. Uns haben Menschen in Aleppo gesagt: ‹Wenn der Westen uns nicht hilft, obwohl er immer Hilfe verspricht, dann nehmen wir dieses Geld, und dann müssen wir tun, was die Djihadisten von uns verlangen.›

Wir haben auch festgestellt, dass es in Syrien inzwischen Scharia-Gerichte gibt. Diese verhängen zwar nicht die ganz drakonischen Strafen. Der Leiter eines dieser  Scharia-Gerichte erklärte uns, das sei in einer Kriegssituation nicht möglich. Wir wollten wissen, was geschieht, wenn Assad tatsächlich weg ist, ob dann die Sharia bestimmend wird. ‹Voraussichtlich ja›, war seine Antwort. ‹Wir schneiden ihnen die Kehle durch›.

Haben die Djihadisten auch Racheakte gegen die Alawiten angekündigt?

Wenn Assad abgetreten sei, sagte uns ein Djihadist bei einem langen Gespräch, dann sei der Krieg nicht vorbei. Sie würden dann gegen die Alawiten vorgehen. ‹Wir schneiden ihnen die Gurgel durch!› Ich zitiere hier diesen Djihadisten-Vertreter, das sind nicht meine Worte. Auf unsere Frage nach den Christen meinte er, diese gingen ja freiwillig in den Libanon.

Zur Person

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Jörg Armbruster, Radio und Fernsehjournalist, Moderator des «Weltspiegel». Er berichtete über die ägyptische Revolution als während eines Live-Gesprächs Mubarak zurücktrat und die Menschen jubelten. Bei Dreharbeiten in Syrien 2013 wurde er angeschossen. Dieses Jahr wird er mit einem der höchstdotierten Journalistenpreise ausgezeichnet.

Haben Sie Christen getroffen in Aleppo?

Wir haben in Aleppo keine Christen getroffen, weil wir im sunnitischen Teil waren. Die christlichen Stadtgebiete, die sich teilweise in der Altstadt befindet und teilweise auf der Assad-Seite, die waren für uns nicht zugänglich.

Wir haben aber letztes Jahr mehrere Reisen gemacht, soweit das noch möglich war. Wir waren auch in christlichen Dörfern, zum Beispiel im Dorf Maalula, wo ein berühmtes christliches Kloster liegt. Dort haben wir sehr besorgte Menschen getroffen, die grosse Angst vor einem Sieg der Sunniten hatten. Zum Teil haben diese Christen der Propaganda des Regimes Glauben geschenkt. Doch schon damals, Mitte 2012, war erkennbar, dass es nicht nur die harmlosen, friedlichen Demonstranten sind, die diesen Krieg in Zukunft führen werden, sondern dass sich die Djihadisten immer mehr am Krieg beteiligen, und das verspricht natürlich nichts Gutes für Christen.

Ich glaube, sie wissen, dass sie in einer schwierigen Lage sind, auch in Zukunft in einer sehr schwierige Lage sein werden. Die Christen lehnen sich zumindest in Teilen immer noch an das Regime an, vermutlich besonders dann, wenn Assad wieder militärische Erfolge verzeichnen kann.

Von aussen hat man den Eindruck, die Christen befinden sich zwischen Hammer und Amboss?

Das täuscht ein bisschen, denn die Bischöfe und Patriarchen, die wir in Damaskus getroffen haben - die meisten der christlichen Religionsgemeinschaften leben ja in Damaskus -  die lehnen sich stark an Assad an. Auch wenn wir nach den Gottesdiensten mit Christenmenschen gesprochen haben, dann spürten wir doch immer wieder eine sehr grosse Nähe zu Assad. Das kann auch ein bisschen daran gelegen haben, dass natürlich jeder seine eigene Sicherheit gefährdet, wenn er sich gegen Assad ausspricht. 

Ich glaube, dass sie tatsächlich ein bisschen zwischen Hammer und Amboss sind, aber eher bei Assad Schutz suchen, als dass sie sich frei machen.

Aber man darf nicht vergessen: Auch in der Opposition gibt es viele und bedeutende Christen, Michel Kilo z.B. ist ein ganz wichtiger altgedienter Oppositionspolitiker, es gibt unter den Oppositionspolitikern, die man auch in Damaskus interessanterweise noch treffen kann, auch Alawiten. Die Blöcke sind nicht so monolithisch wie es scheint.

Ist dieser Konflikt auch religiös motiviert?

Portrait von Jörg Armbruster vor zerbombtem Haus.
Legende: Seit 1988 berichtet Jörg Armbruster für die ARD immer wieder aus den Krisengebieten des Nahen Ostens. SRF

Die Menschen sind sicher religiös motiviert. Es ist aber kein Religionskrieg, der in Syrien stattfindet. Ganz definitiv kein Religionskrieg. Die Religion wird benutzt, um die eine oder andere Begründung für diese Auseinandersetzung zu liefern.

Zuerst war es Assad, der die Religion ins Spiel brachte, um die religiösen Minderheiten im Land, die Drusen, die Christen und natürlich seine eigene Minderheit, die Alawiten, an sich anzubinden, indem er sagte, die Oppositionellen seien sunnitische Extremisten. Es soll auch Djihadisten aus Tschetschenien geben, sogar aus dem Balkan und aus Deutschland, so ist mir berichtet worden.

Das sind natürlich Menschen, die ihren Einsatz religiös begründen. Aber tatsächlich ist es kein Religionskrieg, sondern ein Stellvertreterkrieg zwischen dem Westen und Russland, zwischen Saudi-Arabien, Katar und dem Iran und der Hizbollah.

Insgesamt sind Sie pessimistisch, was Syrien angeht? 

Ich bin nicht wirklich optimistisch, auch nicht was die im Juni geplante Konferenz betrifft. Ich kann mir schwer vorstellen,  dass eine haltbare Lösung herauskommt. Allein wie die Opposition, die ‹Syrische Nationalkoalition›, um einen gemeinsamen Nenner streitet, um an dieser Konferenz teilzunehmen, zeigt schon, wie zerstritten sie ist.

Es ist nur eine Exilorganisation. Ich sage bewusst ‹nur›, denn wir haben auf unserer Reise festgestellt, dass diese Exilsyrer und die Exilopposition wenig Einfluss haben auf das, was in Syrien auf der Rebellenseite wirklich geschieht.

Wir haben immer wieder gehört: ‹Solange die nichts für uns tun, solange sie sich hier nicht blicken lassen, hören wir nicht auf›. Und tatsächlich haben sich die Exilpolitiker so gut wie nie im von den Rebellen kontrollierten Nordsyrien blicken lassen.

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