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Gesellschaft & Religion Der neue Öl- und Gasrausch in den USA

Bis 2020 könnten die USA zum grössten Energieproduzenten der Welt aufsteigen. Grund dafür sind die Fördererträge der neuartigen Öl- und Gasbohrtechnik «Fracking». Ein Augenschein im US-Bundesstaat Texas, dem «Fracking-Epizentrum»: Hier liegen Geldsegen und -nöte nahe beisammen.

Fracking

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«Hydraulic fracturing», kurz «Fracking»: Eine Fördermethode, bei der mit hohem Druck riesige Wassermengen, gemischt mit Sand und Chemikalien, in tiefe Gesteinsschichten gepresst werden. Der Druck führt zu zahlreichen Rissen, über die Öl und Gas entweichen und abgepumpt werden kann. «Fracking» kommt bereits in 29 von 50 US-Bundesstaaten zum Einsatz.

Cueros Bürgermeisterin Sara Post Meyer ging neulich mit ihrem Mann in ein Tanzlokal, etwa 32 Kilometer von ihrem 6800-Seelen-Ort entfernt. «Dort waren 214 Leute anwesend, und wir schätzen, etwa ein Sechstel davon sind in den letzten zwei Jahren neue Millionäre geworden.» Sie hätten ihr Zuhause verschönert, ihren Kindern etwas abgegeben, sie kümmerten sich um die Ausbildungskosten der Grosskinder und hätten ihrer Kirche gespendet.

«Es ist schön», freut sich die ehemalige Lehrerin, «mit all diesen Millionären zusammen zu kommen und zu sehen, wie Leute, die ihr Leben lang mausarm waren, plötzlich all dies machen können.»

Vom armen Landstrich zur Goldgrube

Cuero liegt im Eagle Ford Shale, einer lang gezogenen Schieferstein-Formation, die sich vom texanischen Osten bis hinab an die mexikanische Grenze im Süden erstreckt: 643 Kilometer lang und 80 Kilometer breit. Bis vor fünf Jahren war die Region eine der ärmsten im ganzen Bundesstaat Texas. Inzwischen gilt sie als eine der ergiebigsten Schiefergas- und Schieferöl-Gebiete der USA.

«Fracking» ist Geldsegen für die einen

Ein Mann steht neben grossen roten Leitungen, die zu einer Gas- und Ölförderanlage gehören.
Legende: «Fracking» in Colorado. Keystone

Der Öl- und Gas-Boom im Eagle Ford Shale hat nicht bloss die einst sanft hügelige Landschaft verschandelt. Er spülte auch viel Geld in bislang kärglich geführte Leben. Doch anders als in der legendären TV-Serie «Dallas», wo Öl-Barone mit ihren Petro-Dollars nur so um sich schmeissen, geben sich die neuen Millionäre des Eagle Ford Shale ausgesprochen bedeckt.

In dieser Region, wo jeder jeden kennt und die Herzen ganz weit rechts schlagen, werden keine Namen verraten. Schon gar nicht an Medienleute aus dem «linksextremen» Europa. Und so erfahre ich Geschichten nur vom Hörensagen.

«Ich habe mit einer Angestellten der örtlichen Bank gesprochen», erzählt Eddie Halamicek in Gonzales, einem Kaff etwa eine halbe Autostunde nördlich von Cuero. «Einer der Kunden kam mit den ersten beiden Checks vom Pachterlös seiner Bodenschätze. Der erste war auf 1,2 Millionen ausgestellt, der zweite auf etwas mehr als 700'000 Dollar.» Er wisse sogar von einem Rancher, «der täglich 100'000 Dollar» an der Nutzung seiner Mineralrechte verdiene, erzählt der Händler von Autoteilen und Souvenirs weiter. Und so hofft der 62jährige, eine Bohrfirma werde in absehbarer Zukunft auch an seine Haustür klopfen und um die Gas- und Oelbohrrechte auf seinem Grundstück bitten.

Probleme und neue Nöte für die anderen

Pech für all jene, die kein Land besitzen – sie profitieren vom neuen Öl- und Gas-Rausch weder direkt noch indirekt. Für sie ist der Alltag mit dem Einzug der Bohrindustrie im Eagle Ford Shale nur teurer und beschwerlicher geworden: LKW-Kolonnen, Gestank und Dreck sind allgegenwärtig. Verkehrsunfälle, Kriminalität, häusliche Gewalt und Prostitution haben zugenommen. Selbst die Benzin- und Strompreise sind trotz des «Fracking»-Fiebers teurer geworden.

Dramatisch sind die Entwicklung der Mieten und Häuserpreise: Monica Rocha hat unlängst für ihre Mutter eine Bleibe gesucht – vergeblich. «Die Warteliste beträgt sechs bis acht Monate», erzählt die 26jährige Hausangestellte aus Cuero. Innerhalb der letzten fünf Jahre hätten sich die Preise mindestens verdoppelt.

«Selbst wenn jetzt viele Menschen eine Menge Geld machen und sehr wohlhabend werden: Es gibt weiterhin eine Menge anderer, die nichts zu essen haben, die damit kämpfen, wenigstens das Geld für ihre Strom- und Gas-Rechnung zusammenzukratzen.» Für die Mittel- und Unterschicht sei der Alltag inzwischen schwieriger geworden. Das sei nicht fair, findet die junge Frau. «Aber das Leben ist wohl an sich nicht gerecht.»

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