9’671 Kilometer sind es von Solothurn nach Goa, Indien. Marcel Meier und seine Freundin Heidi Keller sind damals im Herbst 1973 gut 20 Jahre alt und kaufen sich mit zusammengespartem Geld einen VW-Bus. Indien sei das logische Reiseziel gewesen, inspiriert vom Roman «Siddhartha» von Hermann Hesse.
«Wir wussten: Wenn wir irgendwo Freiheit finden wollen und vielleicht auch Erleuchtung, dann müssen wir nach Indien gehen», sagt Marcel Meier über die Entscheidung damals.
Ohne Reiseführer unterwegs
Eine Reise, die heute nicht mehr so einfach zu machen ist. Die Strassen sind zwar besser, doch die politische Situation deutlich komplizierter als vor knapp 50 Jahren. Der «Hippie Trail», die Route via Balkan in die Türkei und weiter über den Iran, Afghanistan, Pakistan und schliesslich nach Indien, wird heute kaum mehr befahren.
«Damals gab es so gut wie keine Informationen. Ein Schweizer hatte zwar ein Büchlein geschrieben, der war aber per Anhalter unterwegs gewesen», sagt Marcel. Reiseführer für Individualreisende kamen damals erst gerade auf: Im Herbst 1973 erschien der erste «Lonely Planet». Natürlich über Indien.
Beworfen mit Steinen
Das Indien-Visum müsse man vorher besorgen, soviel hatten Marcel und Heidi in Erfahrung bringen können. Mit dem Visum in der Tasche und einem vollen Tank ging die Reise schliesslich los. Ziemlich blauäugig und naiv seien sie gewesen und hätten nicht an Gefahren gedacht.
Bis ihr Bus dann in der Osttürkei, als sie durch ein Dorf fuhren, von Buben mit Steinen beworfen wurde. Warum, war ihnen nicht klar. Sie wollten die Buben zur Rede stellen. Marcel verfolgte sie bis zu ihrem Haus und trat ungebeten ein. Das wiederum brachte eine Kaskade in Gang: Die wütenden Schreie der Hausherrin brachten das halbe Dorf auf die Beine.
Marcel und Heidi schafften es gerade noch, den Motor anzuwerfen und zu flüchten. «So etwas würde ich heute natürlich nicht mehr machen», sagt Marcel Meier. Sie hätten daraus gelernt, dass sie sich als Besucher anpassen müssten.
Nackt am Strand
Doch das Anpassen fällt gar nicht so leicht, vor allem, wenn man nicht alleine ist. In Goa schliesslich, am Ziel aller Hippie-Sehnsüchte, sei man oft nackt am Strand herumgelaufen und auch nackt in die Strand-Cafés gegangen.
Das wiederum rief die Inder auf den Plan; die nackten Touristinnen und Touristen wurden zu einem richtigen Geschäft. Ganze Busladungen von Spannern fuhren an den Stränden Goas vor.
«Es kam zu absurden Szenen. Einmal fragte jemand eine nackte Frau, ob sie Feuer habe», erzählt Marcel Meier. «Im Nachhinein muss ich sagen, haben wir uns völlig falsch verhalten. Aber es war halt eine Art Kommune am Strand, wir alle wollten die Freiheit ausleben.»
Goa: Paradies und Drogenhölle
Die Freiheit dehnte sich aber auch auf Drogen aus. Manch einer bezahlte dies mit dem Leben. Sie hätten einige ziemlich ziemlich ausgebrannte Gestalten erlebt in Goa, auch Schweizer.
«Die waren wirklich schlecht zwäg», sagt Marcel Meier, das sei nicht lustig gewesen. Sie selber hätten es beim Kiffen belassen. «Da ging abends ein Joint in die Runde, das war für uns wie ein Glas Wein trinken.» Doch die Drogen seien nicht die Antriebsfeder für ihre Reise nach Goa gewesen.
Es gab auch viel Konstruktives an den Stränden von Goa. Viele blieben ein paar Wochen oder sogar mehrere Monate und richteten sich ein. «Es gab verschiedene Hütten, viele bauten sich etwas aus Palmwedeln. Wir waren mit unserem VW Bus ziemlich privilegiert und haben uns ein Vorzelt gebastelt.»
Wasser besorgte man sich aus einer Quelle in der Nähe, Essen gab es von den Fischern oder im einzigen Strandcafé. Vielen Leute hatten auch Tiere dabei, Marcel und Heidi hatten einen Hund und ein Haushuhn, ihre Nachbarn einen kleinen Affen.
Indisches Talent
Schliesslich traten sie die lange Rückreise an, mit einem Abstecher über Ost- und Nordindien und Nepal. Doch der VW T2a, Jahrgang 1969, liess sich nicht alles gefallen. Ein Motorschaden zwang Marcel und Heidi zu einer einwöchigen Zwangspause, während der sie die Fertigkeiten der indischen Mechaniker bewundern lernten.
Da es keine Ersatzteile für den VW Bus gab, fertigte die Garage gleich selber ein neues Ventil an: in mühsamer Kleinstarbeit, aus einem Stück Metall auf einer Drehbank, angetrieben mit den Füssen. Die Reparatur hielt und brachte Marcel und Heidi sicher wieder in die Schweiz zurück.
Auch heute sind sie noch zusammen unterwegs: Kurz vor diesem Interview kehrten Marcel und Heidi von einer dreijährigen Reise auf der Panamericana zurück – im Wohnmobil. Der VW Bus wurde irgendwann doch zu klein.