SRF: Ziad Kalthoum, woher kam die Idee zum Film «Taste of Cement»?
Ziad Kalthoum: Als der Krieg in Syrien begann, bin ich nach Beirut geflüchtet. Dort wachte ich jeden Morgen vom Lärm der Baustellen auf. Irgendwann wurde mir klar, dass vor 25 Jahren hier vor allem Kriegslärm herrschte.
Dieser Kontrast zwischen dem Sound von Baustellen und dem des Krieges hat mich fasziniert, ich wollte dem nachgehen. Man muss wissen, dass im Libanon schon seit 30 Jahren syrische Bauarbeiter arbeiten.
Die Bauarbeiter, die ich getroffen habe, sind die zweite Generation – sie sind vom Krieg in Syrien geflüchtet. Und jetzt bauen sie Hochhäuser in Beirut, während ihre eigenen Häuser in Syrien zerstört werden.
Für mich sind sie moderne Sklaven. Sie dürfen die Baustelle nach Feierabend nicht verlassen.
Sie drehen einen Film in Beirut, während in Ihrem Heimatland Krieg herrscht. Wollten sie den Krieg ausklammern?
Ich bin kein grosser Fan davon, eins zu eins Filme über den Krieg zu machen und mich an Erklärungen zu versuchen. Wenn Sie auf Youtube gehen, finden Sie Millionen von Bildern, wie täglich Menschen in Syrien sterben. Wie die Syrer unter diesen Bombardierungen leben.
Ich will andere Bilder vom Krieg zeigen. Nach sechs Jahren Krieg kennt jeder all die schrecklichen Bilder, und doch tut keiner etwas für uns. Mein Job war es, eine andere Geschichte zu erzählen.
Für mich war es wichtiger, den Akt des Aufbauens zu zeigen als den Akt des Zerstörens oder gar des Tötens. Etwas aufzubauen, das bedeutet Hoffnung für mich.
Diese Arbeiter müssen zuschauen, wie ihre Häuser in Syrien zerstört werden, während sie jeden Tag frischen Zement verbauen.
Ihr Film hat mich eher hoffnungslos zurückgelassen.
Ja klar. Die Menschen, die ich vorstelle, sind gefangen zwischen zwei Kriegen. Zwischen dem vergangenen Bürgerkrieg im Libanon und dem Krieg in Syrien heute. Zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Sie sind wie Hamster im Rad.
Für mich sind sie moderne Sklaven. Sie dürfen die Baustelle nach Feierabend nicht verlassen. Zweimal die Woche kommt ein Bus, der Ihnen Lebensmittel bringt.
Warum sprechen die Arbeiter nicht in ihrem Film?
Weil sie Angst haben. Sie hatten Angst vor mir, denn heutzutage wird alles Material genutzt, um Propaganda zu machen. Sie haben Angst vor dem Regime in Syrien, vor dem IS, vor allem. Und natürlich haben sie auch Angst vor dem Besitzer der Baustelle. Deshalb reden sie nicht darüber, unter welchen katastrophalen Bedingungen sie dort leben.
Sie tun genau fünf Dinge: aufwachen, essen, arbeiten, Fernsehen schauen, schlafen. Jeden Tag. Stellen Sie sich das vor! Ich wollte diese Situation ehrlich abbilden.
Haben die Arbeiter denn die Angst vor Ihnen irgendwann abgelegt?
Um ehrlich zu sein, war es sehr hart, eine Beziehung zu ihnen aufzubauen. Ich habe monatelang auf eine Drehgenehmigung gewartet und dann habe ich endlich eine bekommen, aber nur für eine Woche. Es ist sehr schwer, in dieser kurzen Zeit Vertrauen aufzubauen.
Sie haben mit sehr langen, ruhigen Einstellungen gearbeitet. Ihre Bilder sind faszinierend schön.
Sie müssen sich diese Kulisse vorstellen, vor der die Arbeiter jeden Tag stehen. Dieses Beirut, das immer weiter wächst. Der Ozean, die freie Sicht. All das ist schön. Die Arbeiter sehen das aber nur von der Baustelle aus, sie dürfen nicht in die Stadt.
Nach ein, zwei Wochen wird dieses Panorama zur Wandtapete. Eine wunderschöne Wandtapete. Das wollte ich abbilden. Was für ein Kontrast zwischen dem Leben im Libanon und der traurigen Geschichte der syrischen Bauarbeiter, die in diesem Loch unter der Erde hausen müssen.
Und die vor einem brutalen Bürgerkrieg geflohen sind...
Ja, schauen Sie sich die Videos im Netz an. Diese Arbeiter müssen zuschauen, wie ihre Häuser in Syrien zerstört werden, während sie jeden Tag frischen Zement verbauen. Wenn Sie sich Bilder aus Syrien anschauen und die Menschen sehen, die verschüttet unter ihren Häusern liegen, bedeckt mit einer weissen Schicht: In Syrien weiss jeder, wie Zement schmeckt.
Das Gespräch führte Julia Bendlin.
Sendung: SRF 1, Kulturplatz, 31.5.17, 22:25 Uhr