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Ein Vater auf Schulbesuch Wird der digitale Unterricht meiner Tochter schaden?

Selfies, Snapchat, Hyperkommunikation – und erst noch Tablets in der Schule. Ist es gut, wenn meine Tochter so lernt?

Digitalisierung in den Schulen – das ist die grosse Chance, sagen die einen.

Nein, entgegnen die anderen: Lernen muss analog stattfinden. Computer haben in der Schule nichts verloren. Zu viel Medienkonsum schade Kindern.

Und was nun?, frage ich mich als Vater, der erstaunt feststellt, dass im Kanton Zürich seit diesem Schuljahr der 5. Klasse Primarschule das Fach «Medien und Informatik» unterrichtet wird, und mein Kind ein Tablet ausgehändigt bekommt, worauf es nun lernen soll.

Kinder mit Tablets

Wer sich mit dem Thema Schule auseinandersetzt, betritt ein Minenfeld. Jeder und jede weiss es besser. Jeder Vater, jede Mutter, jeder Lehrer, jede Direktorin und dann noch die vielen Erziehungswissenschaftlerinnen, Politiker und Lobbyistinnen.

Und natürlich ist mir klar, dass es in Zukunft kaum einen Beruf geben wird, in dem Digitalisierung nicht auf irgendeine Weise eine Rolle spielen wird.

Oder überspitzter formuliert: Es wird Berufe geben, von denen wir noch gar nicht wissen, was sie sind oder wie sie heissen. Und das alles aufgrund der Digitalisierung.

Darauf will in der Schweiz der Lehrplan 21 reagieren: Kindern sollen Kompetenzen vermittelt werden, die sie durch digitalisierte Lebens- und Berufswelten führen können. Sie sollen nicht nur einfach Softwares anwenden können, nein, sie sollen auch ein breites Verständnis für die Konzepte unserer Datenwelt entwickeln.

Ein grosser Anspruch, der durchaus Sinn macht, denke ich – und mache mich auf den Weg nach Niederhasli. Dort steht das Schulhaus Seehalde der Sekundarschulgemeinde Niederhasli-Niederglatt-Hofstetten. Ein Schulhaus, das in Fragen der Digitalisierung eine Vorreiterrolle vornimmt.

Die Welt durch den Touchscreen

In der S-Bahn nach Niederhasli das gewohnte Bild: Erwachsene, aber auch viele Jugendliche und Kinder, starren auf ihre Smartphones. Ich selbst übrigens auch.

Gleichzeitig frage ich mich, wie kann man Kindern den richtigen Umgang mit der digitalen Welt vermitteln? Damit sie die Welt immer noch mit ihren Augen wahrnehmen und nicht nur durch Touchscreens und das Internet.

Im Schulhaus Seehalde empfängt mich Sandra Monroy, Schulpflegepräsidentin und politisch verantwortlich für die Programmatik dieser Schule. «Wer heute noch die Digitalisierung verleugnet, schaut die Welt mit sehr speziellen Augen an, sie ist schlicht Realität. Wenn sich die Schule, die per se der Arbeitswelt hinterherhinkt, nicht auf diesen Weg begibt, dann ist man schlicht nicht gerüstet für das, was die Zukunft bringt.»

Das Argument sitzt. Die meisten Schülerinnen im Schulhaus Seehalde werden schon bald, nach den drei Jahren Sekundarschule eine Berufslehre beginnen.

Der Lehrer liest mit

Ich besuche den Englischunterricht. Die Schüler sitzen in kleinen Gruppen um Tische und lernen Vokabeln.

Vor ihnen liegt ein iPad. Bereits seit 2014 arbeiten alle Lehrpersonen und Schülerinnen damit.

Sie chatten – auf Englisch –, bilden Dialoge mit den soeben gelernten Phrasen. Alles ist einsehbar, der Englischlehrer sieht sofort, was die Schüler schreiben. Er kann eingreifen, erklären, korrigieren.

Das ist ein enormer Vorteil. Das Lernen wird effizienter. Jede Schülerin lädt seine Arbeiten auf eine Plattform, von der aus die Lehrperson jederzeit zugreifen kann. Alles wird dort gespeichert, und jederzeit kann damit gelernt und gearbeitet werden.

Der umgedrehte Unterricht

Unterrichtsmaterialien online, Erklärvideos, mehr Vernetzung untereinander – all das bietet enorme Chancen für eine Schule. In Niederhasli finden sie die richtige Mischung zwischen herkömmlichem Unterricht, Gruppenarbeiten, und «normaler Schule», wo Schülerinnen musizieren, nähen, malen.

Digitalisierung in der Schule benötigt aber auch neue pädagogische Konzepte. Weniger Frontalunterricht, mehr Selbstorganisation beim Lernen. Denn die Digitalisierung bietet die Möglichkeiten dazu.

Der «umgedrehte Unterricht» oder «Flipped Classroom» ist so ein neues Konzept. Er funktioniert so: Als Schüler schaue ich ein Video, in dem eine Lehrperson etwas erklärt, eine Mathematik-Aufgabe zum Beispiel.

Dann gehe ich mit diesem Wissen in eine Stunde, frage Lehrer oder Mitschüler, falls ich etwas nicht verstanden habe, und übe. Plötzlich entstehen Dialog, Zusammenarbeit und individuelles Lernen.

Selbstorganisation beim Lernen

Die Englischklasse ist nun in einem anderem Raum. Hier wird nur geflüstert.

Die Schülerinnen sitzen an getrennten Arbeitstischen oder in einem Nebenraum, der für Gruppenarbeiten reserviert ist. Lehrpersonen wandern von Schüler zu Schülerin, setzen sich kurz dazu und erklären.

Hier wird nun intensiv gelernt, die Lehrperson ist eine Art Coach, die eingreift, wenn Hilfe notwendig ist. Lernt hier jeder für sich allein?

Das Gegenteil ist der Fall. Mir fällt auf, wie sehr die Schülerinnen zusammenarbeiten, vernetzt, oder im direkten Gespräch.

Das mag das Besondere an dieser Schule sein: Selbstorganisation, Selbstverantwortung für das Lernen und die Anwendung digitaler Möglichkeiten gehen Hand in Hand.

Die Gefahren des Internets

Alles halb so schlimm mit dieser Digitalisierung, denke ich mir in der S-Bahn auf dem Weg zurück. Wenn man in den Schulen die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzt, ohne das Analoge, das Haptische zu verdrängen, dann bietet das grosse Vorteile.

Mir gegenüber tippt ein junger Mann wie wild auf seinem Smartphone und sendet wichtige Messages in die Welt. Und was ist damit, frage ich mich, mit Social Media, mit den Gefahren des Internets, mit dem Suchtpotential, das digitale Medien auch eröffnen?

Darauf reagieren Schulen wie die in Niederhasli, indem sie den Umgang mit Social Media auch kritisch hinterfragen und den Umgang mit Tablet und Smartphone reflektieren.

Aber wenn ich als Vater das mit meinem Kind nicht selbst vorlebe, wie ein sinnvoller Umgang mit digitalen Medien aussieht, wie und warum soll das die Schule denn tun? Sie ist schliesslich nur ein Teil des Lebens.

Stimmt, denke ich mir, stecke mein Smartphone in die Tasche, und schau mir die Welt an, wie sie in der S-Bahn an mir vorbeirauscht.

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