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Gesellschaft & Religion Eine Stadtmauer gegen den Bauwahn in St. Moritz

St. Moritz ist bekannt als Ort für die Reichen und Schönen – aber auch als hässliches Dorf. Um das achitektonische Durcheinander wieder zusammen zu bringen, haben Christoph Sauter und Cordula Seger eine Idee: eine Stadtmauer für St. Moritz.

«Ich würde sagen, es ist nicht unästhetisch, vor allem aber ist es ehrlich.» Der ehemalige Kurdirektor von St. Moritz, Hanspeter Danuser, steht an der Seepromenade und schaut auf die Fassade der Alpen-Metropole St. Moritz. Appartement-Blöcke aus den 70er-Jahren treffen auf alten Engadiner Häuser, mondäne Hotelpaläste werden von modernster Architektur umrahmt. St. Moritz im Jahr 2014.

Die Autoren

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Christoph Sauter hat Architektur an der ETH Zürich studiert und führt sein Architekturbüro in St. Moritz.

Cordula Seger studierte Germanistik und Architekturgeschichte in Zürich und Berlin. Sie arbeitet als Forscherin, Publizistin, Kuratorin und Dozentin im Spannungsfeld zwischen Kulturgeschichte und Architektur.

Beide leben in St. Moritz.

Nur die Aussicht zählt

Sämtliche Fenster und Balkone der Gebäude bieten einen Blick auf den See. Egal ob Hotelzimmer oder Eigentums-Wohnung, alles richtet sich zur Natur hin aus. «Die Aussicht ist mehr als die halbe Miete», sagt der Touristiker Hanspeter Danuser.

In dieser Ausrichtung nach aussen sehen der Architekt Christoph Sauter und die Kulturwissenschaftlerin Cordula Seger eines der grossen Probleme des Kurortes. In ihrem umfangreichen Buch «St. Moritz – Stadt im Dorf» liefern die beiden eine detaillierte Analyse, warum die Tourismus-Metropole im Oberengadin heute so aussieht, wie sie eben aussieht.

Die innere Schönheit fehlt

Die architektonische Fokussierung auf das Aussen – also auf die Aussicht, die umliegenden Berge und den See sorgt dafür, dass sich die dörfliche Gemeinschaft, oder wie im Buch beschrieben das «innere Panorama», nur wenig oder gar nicht ausgebildet hat.

«Das innere Panorama ist letztlich das Resultat einer gesellschaftlichen Haltung, einer gesellschaftlichen Übereinkunft», so Sauter und Seger. Ein gemeinschaftlicher Gestaltungswille, ein Masterplan fehlt – eine Folge davon. St. Moritz ist heute weniger ein authentischer Höhenkurort und mehr eine Las Vegas ähnliche Event-Kulisse.

Zurück in die Realität

Buchhinweis

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Christoph Sauter, Cordula Seger: «St. Moritz – Stadt im Dorf», Hier und Jetzt Verlag, 2014.

Der Kur- und Verkehrsverein St. Moritz unter der Leitung von Hanspeter Danuser liess 1985 den Ortsnamen als Marke eintragen (St. Moritz – Top of the World) und schaffte es mit diesem Coup auf die Titelseite des Wall Street Journal.

Die Marke hat den Ort der Realität enthoben, schreiben Cordula Seger und Christoph Sauter. Es gehe jetzt darum, St. Moritz wieder in die Realität zurückzuholen. Dafür wird im Buch die Idee einer Stadtmauer entwickelt. Diese soll aus der immer mehr ausfransenden Tourismus-Agglomeration St. Moritz einen Ort machen, in dem die zentralen architektonischen, historischen und gesellschaftlichen Gebäude und Plätze wieder in einem Zusammenhang stehen und damit als Einheit les- und lebbar werden.

Visualisierung / Karte mit Legenden.
Legende: Ausschnitt der Karte mit dem Verlauf der Stadtmauer. Christoph Sauter/ Cordula Seger

Eine Mauer für St. Moritz

Christoph Sauter und Cordula Seger bieten in «St. Moritz – Stadt im Dorf» eine Mauer-Idee an, die als soziale und gesellschaftspolitische Skulptur und zugleich als interessante architektonische Utopie gelesen werden kann.

Die Stadt-Mauer verbindet den Orts-Eingang in St. Moritz Bad mit der Polo-Wiese am See, führt den Hügel hinauf entlang der berühmten Luxusmeile Via Serlas, verbindet wichtige Zeitzeugen wie das Badrutt’s Palace mit zentralen Sehenswürdigkeiten und öffentlichen Plätzen der Alpenstadt und endet dann nach dem Segantini-Museum.

Obwohl der Architekt Christoph Sauter das Wort Utopie im Zusammenhang mit seiner Mauer-Idee nicht gerne hört, sagt er selbst: «Die Idee einer Stadt-Mauer steht jetzt im Raum, die Umsetzung kann verschieden sein. Die Absicht der Mauer ist, den Kurort wieder erlebbar zu machen. Und dafür gibt es noch viele andere Möglichkeiten als nur die baulichen Massnahmen für eine Stadtmauer. Ich glaube erst die Formulierung einer gemeinsamen Stadt-Idee lässt sogenannte Potential-Räume erkennen und kann dann im Einzelfall Interventionen auslösen.»

50 Jahre zu spät und doch richtig

St. Moritz hat jetzt mit dem Buch von Cordula Seger und Christoph Sauter eine umfassende Chronik bekommen – eine die die politischen, gesellschaftlichen und architektonischen Entscheidungen nicht plausibler erscheinen lässt, aber nachvollziehbarer macht. Und «St. Moritz – Stadt im Dorf» bietet Denkanstösse und Modelle für die Zukunft der Alpenstadt an. Der ehemalige Kurdirektor Hanspeter Danuser schreibt dazu im Nachwort: «Es ist höchste Zeit sich über die touristische und bauliche Zukunft des Ortes Gedanken zu machen. Dafür kommt dieses Buch zum richtigen Zeitpunkt. Noch besser wäre es schon 1950 erschienen.»

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