Es gibt stehende Ovationen für Jordan B. Peterson. Der kanadische Psychologieprofessor spricht vor grossem Publikum in Nashville, Tennessee, über «12 Rules for Life». So heisst sein aktuelles Buch, das zum Bestseller geworden ist.
Nie, sagt Peterson in einem seiner Youtube-Videos, nie habe er als Therapeut einen Klienten erlebt, der ihm gesagt habe, die Eltern hätten ihn «zu unabhängig» gemacht.
«Nimm dein Leben selber in die Hand – und hindere andere nicht daran, es zu tun», sagt Peterson. Eine durchaus vernünftige Maxime. Wie so manche in seinen Büchern und Vorträgen.
Weibliches Chaos
Und doch ist der Psychologieprofessor stark umstritten. Der Hauptvorwurf: Er verkaufe reaktionäre, frauenfeindliche Geschlechtermodelle an verunsicherte Männer. Nicht direkt, aber unterschwellig.
Etwa, indem er das Chaos als feminin beschreibe und die Ordnung als maskulin. Oder indem er das Verhalten von Hummern als Vorbild für das zwischenmenschliche Zusammenleben preise.
Die Soziologin Hella Dietz hat sich intensiv mit dem «Phänomen Peterson» beschäftigt. «Er argumentiert als Gesellschaftstherapeut», sagt sie.
«Peterson ist weder Wissenschaftler noch Prediger, sondern argumentiert als Kliniker. Er möchte das Individuum stärken und vor der grossen Bedrohung warnen, die er in der postmodernen Linken sieht», so Dietz. Aber er tue das als jemand, der einen therapeutischen Blick hat auf den Einzelnen.
Die «postmoderne Linke» verknüpft Peterson wahlweise mit den Begriffen «Kulturmarxismus» und «Identitätspolitik».
Ernsthaft und empört
Peterson wurde auf einen Schlag berühmt, als er sich 2016 über eine Gesetzesvorlage im kanadischen Parlament ausliess, die sexuelle Minderheiten schützen soll.
In Videos tat er seinen Widerstand dagegen kund, Transsexuelle mit den Pronomen ihrer Wahl anzusprechen. Die Videos fanden ein Millionenpublikum. «Um die Wirkung von Peterson zu erklären, darf man nicht vergessen, dass es ein Thema gibt, auf das er reagiert: illiberale Tendenzen, die es auch an US-amerikanischen Universitäten gibt», sagt Dietz.
Auch seine spezifische Art zu sprechen gehöre dazu: «Er spricht ernsthaft und empört zugleich. Und er will als Wissenschaftler wahrgenommen werden. Damit gibt er seinen Zuhörern das Gefühl, dass es eindeutige Antworten auf die grossen Probleme gibt.»
Eloquenter Gegner
Grossen Anteil an seinem Erfolg hätten aber auch seine Gegner, sagt Dietz. Millionenfach verbreitete sich etwa ein Video, in dem eine britische Fernsehjournalistin gegen ihn auflief und sich verhedderte.
«Interessant ist die Frage, warum die mediale Auseinandersetzung diesem Phänomen Peterson so hilflos gegenübersteht», sagt Dietz. «Es hat wohl mit dem Zusammenspiel zu tun von selektiver Expertise, einfachen Antworten und den Versatzstücken der Empörung.»
Ungenauigkeiten und Fehlschlüsse
«Wer sich auf seine Logik einlässt, hat bereits verloren», schrieb letzte Woche die linke Wochenzeitung über Peterson. Eine solche Haltung sei die Bankrotterklärung eines intellektuellen Diskurses, sagt die Soziologin. «Das legt nahe, dass ihm mit Mitteln rationaler Argumentation nicht beizukommen wäre.»
Das aber sei nicht der Fall. Es gebe in Petersons Vorträgen Ungenauigkeiten und Fehlschlüsse, sagt Hella Dietz. Wer ihn kritisiere wolle, müsse sich ernsthaft mit seinen Argumenten auseinandersetzen.