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Zwei junge Männer mit Putin-Porträt an einer Busstation nahe St. Petersburg.
Legende: Irgendwo zwischen Ost und West: zwei junge Russen warten in St. Petersburg auf den Bus. Keystone
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Jugendliche in Russland «Generation Putin»: Russlands beste Chance für echte Demokratie

Der Journalist Benjamin Bidder porträtiert junge Russinnen und Russen, die keinen anderen Staatschef als Vladimir Putin kennen. In ihnen verortet er die Hoffnung auf einen demokratischen Wandel.

  • Bei den jungen Erwachsenen in Russland stösst Putin überwiegend auf Zustimmung.
  • Die «Generation Putin» lebt noch immer in einer äusserst konservativen und autoritären Gesellschaft, die von den Wertvorstellungen der Elterngeneration geprägt ist.
  • Für die jungen Menschen in Russland ist anderes wichtiger als die Politik. Die heutige Generation der Jungen geniesst mehr Freiheiten als jede andere Generation vor ihr.
  • Die «Generation Putin» ist die beste Chance, die Russland je hatte, eine echte Demokratie zu werden.

SRF: Benjamin Bidder, im Westen steht die russische Regierung von Wladimir Putin in der Dauerkritik. Wie steht die «Generation Putin» zu ihrem Präsidenten?

Benjamin Bidder: Er stösst überwiegend auf Zustimmung. Die Generation der Jungen unterscheidet sich diesbezüglich nicht von der Gesamtbevölkerung.

Audio
Vincent Leittersdorf liest aus «Generation Putin»
02:32 min
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 32 Sekunden.

Wie kommt dies?

Die jungen Erwachsenen sind die Kinder ihrer Eltern, sie werden geprägt durch ihr Umfeld. Auch zeigt die staatliche Propaganda quer durch alle Schichten ihre Wirkung. Es gibt auch unter den jungen Menschen viele, die etwa die Grossmachtsrhetorik der Regierung teilen. In Russland besteht unbestreitbar ein Defizit an Demokratie. Die Regierung unterdrückt die Opposition mit Gewalt und zensuriert die Presse.

Kümmert dies denn die jungen Menschen nicht?

All die politischen Defizite in Russland sind für die «Generation Putin» im Alltag nur dann spürbar, wenn sie sich aktiv in der politischen Opposition engagieren. Und das sind die wenigsten. Für die jungen Menschen in Russland ist anderes wichtiger als die Politik.

Für junge Menschen in Russland ist anderes wichtiger als die Politik.
Autor: Benjamin BidderJournalist und Buchautor

Was denn?

Die Selbstverwirklichung. Darum dreht sich bei ihnen fast alles. Die heutige Generation der Jungen geniesst mehr Freiheiten als jede andere Generation vor ihr.

In der Sowjetzeit war das Leben durch und durch staatlich vorgezeichnet: vom Studium über die Berufswahl bis hin zum Wohnort. Das ist heute völlig anders. Die jungen Menschen von heute haben erstmals die Möglichkeit, ihr Leben selbst zu gestalten.

Sind sie darin auch erfolgreich?

Das ist sehr individuell. Viele der jungen Menschen, die ich in Russland kennengelernt habe, versuchen durchaus, ihre Freiheiten wahrzunehmen. Man verfolgt etwa zielstrebig die persönliche Karriere oder engagiert sich in der einen oder anderen Weise im persönlichen Umfeld.

Video
Buchtrailer zu «Generation Putin»
Aus Kultur Extras vom 15.01.2017.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 24 Sekunden.

Heisst dies, dass sich westliche und russische Jugendliche eigentlich sehr ähnlich sind?

Zu einem grossen Teil sicher. Man trägt westliche Kleidung, hört westliche Musik, schaut westliche Serien, ist per Smartphone und Social Media mit dem Westen verbunden.

Junge Russen trägen westliche Kleidung, hören westliche Musik, schauen westliche Serien.
Autor: Benjamin BidderJournalist und Buchautor

Die russischen Jugendlichen kämpfen heute oft mit dem Problem, zu viele Möglichkeiten zu haben. Wie soll ich mich in der Gesellschaft orientieren? Dieses Phänomen kennen wir auch im Westen. Kurzum: Die «Generation Putin» versteht sich als Teil der westlichen Kultur.

Wie geht dies zusammen mit dem neuen «Kalten Krieg», der sich abzuzeichnen scheint?

Tatsächlich befürworten die Jungen mehrheitlich etwa die russische Annexion der Krim. Dass der Westen mit Protest und Sanktionen reagiert hat, sieht man jedoch als Teil eines sachlichen Konflikts, den es pragmatisch zu lösen gilt. Die Krim oder die Ukraine sind für die jungen Russen aber kein Gründe, sich grundsätzlich vom Westen abzuwenden. Und von einem neuen ideologischen «Kalten Krieg» will man schon gar nichts wissen.

Von einem neuen ideologischen «Kalten Krieg» will man nichts wissen.
Autor: Benjamin BidderJournalist und Buchautor

Gibt es dennoch Unterschiede zwischen der Jugend im Westen und in Russland?

Ja, die «Generation Putin» lebt bei aller Freiheit, die sie geniesst, noch immer in einer äusserst konservativen und autoritären Gesellschaft, die von den Wertvorstellungen der Elterngeneration geprägt ist. Noch immer lehnen beispielsweise breite Teile der russischen Bevölkerung die Homosexualität schlicht ab.

Kann diese Jugend, die «zwischen den Zeiten» lebt, die Keimzelle für eine Demokratisierung Russlands sein?

Da bin ich sehr zuversichtlich. Noch kosten die jungen Menschen in Russland die Früchte der Freiheit vor allem im Privaten. Früher oder später überträgt sich dies jedoch zweifelsohne auch auf die Politik. Die «Generation Putin» ist die beste Chance, die Russland je hatte, eine echte Demokratie zu werden.

Das Gespräch führte Felix Münger.

«Generation Putin» von Benjamin Bidder

Sie heissen Alexander, Marat, Diana, Lena, Wera und Taissa. Sie sind
zwischen 20 und 30 Jahre alt und leben alle in Russland. Sie gehören zur
«Generation Putin». Benjamin Bidder porträtiert die sechs jungen
Russinnen und Russen in seinem ausgezeichnet recherchierten Buch
«Generation Putin». Er vermeidet jedes Gehabe westlicher Überlegenheit
und gewährt auf diese Weise vertiefte Einblicke in das Denken und Fühlen
junger Erwachsener im heutigen Russland jenseits aller Politikrhetorik.
Gleichzeitig unternimmt das Buch erhellende Streifzüge in die russische
Geschichte und gelangt schliesslich zu einer hoffnungsvollen These: Die
Chancen ständen gut, dass sich die «Generation Putin» als Keimzelle für
eine echte Demokratisierung entpuppe.

Zur Person

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Benjamin Bidder in Moskau
Legende: Benjamin Bidder in Moskau Yevgeny Kondakov

Der deutsche Journalist Benjamin Bidder, geboren 1981, schreibt für den «Spiegel». 2009 bis 2016 war er als Korrespondent in Moskau.

Buchhinweis

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Benjamin Bidder: Generation Putin. Das neue Russland verstehen. DVA 2016.

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