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Geschichte des Betens Dass Menschen beten, ist so sicher wie das Amen in der Kirche

Vom individuellen Stossgebet bis zum Gottesdienst: Beten ist urmenschlich. Das zeigt eine neue Ausstellung.

Jesus selbst soll es gebetet haben: das «Vater unser». Es ist wahrscheinlich das bekannteste Gebet im Christentum.

Kaum erstaunlich, wurde diesem Gebet die erste Vitrine in der St. Galler Stiftsbibliothek gewidmet. Dort gewährt eine neue Ausstellung Einblicke in die Geschichte des christlichen Betens.

Ausstellungshinweis

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Die Ausstellung « Beten – Gespräch mit Gott » in der St. Galler Stiftsbibliothek dauert bis Anfang November 2021. Die Öffnungszeiten sind wegen der Corona-Pandemie reduziert.

Warum beten wir?

In praktisch allen menschlichen Gesellschaften wird gebetet, erläutert St. Galler Stiftsbibliothekar Cornel Dora. Menschen beten fast so selbstverständlich, wie sie weinen oder sich freuen.

eine farbige Illustration von Menschen, die beten in einem alten Buch
Legende: Das prächtig ausgestattete Gebetbuch von 1472 gehörte dem St.Galler Fürstabt Ulrich Rösch. Einsiedeln, Stiftsbibliothek Codex 285

Ist das Gespräch mit Gott oder einer Gottheit also ein Art Urbedürfnis von uns? Ja, sagt Cornel Dora. «Das Gespräch mit Gott, also mit jemandem ausserhalb unser Selbst, ist etwas Archaisches. Das entspricht einem tiefen Bedürfnis der Menschen. Wir beten in Notlagen oder wenn wir uns besonders freuen – mit dem Ausruf ‹Halleluja› zum Beispiel. Das ist etwas existenziell Menschliches.»

Gebete als älteste Zeugnisse

Aus diesem Grund gehören Gebete zu den ältesten Überlieferungen überhaupt. Wie etwa das berühmte «Vater unser». Aber wieso beteten die süddeutschen Bürgerinnen und Bürger im 8. Jahrhundert eigentlich «Fater unseer» und nicht «unseer Fater»?

eine Kopie eines Pergaments mit alter Schrift
Legende: Um 790 beteten die Menschen in Südwestdeutschland so: «Fater unseer thu pist in himile uuihi namun dinan» St.Gallen, Stiftsbibliothek Cod. Sang. 911, S. 320.

Dies sei der Eins-zu-Eins-Übersetzung aus dem Latein geschuldet, erklärt Stiftsbibliothekar Cornel Dora: «Weil die Menschen auf Deutsch und nicht etwa Lateinisch oder gar Griechisch beten wollten, wurden die Texte übersetzt. Dabei gab es Überbleibsel aus der früheren Sprache: Das ‹pater noster› wurde in der Wortfolge ‹Vater Unser› kopiert und eben nicht wie es natürlich wäre ‹Unser Vater›».

Das «Vater unser» ist aber nicht das älteste Gebetsbuch in der St. Galler Stiftsbibliothek. Die Sammlung der Psalmen ist älter.

Die Abschrift von Psalm 26 beispielsweise mit dem bekannten Zitat «Ich wasche meine Hände in Unschuld» stammt aus dem 5. Jahrhundert – also vor der Zeit, als Mönch Gallus sich an der Steinach niederliess und das heutige St. Gallen gründete.

Die Psalmen seien quasi das Ur-Gebet: «In der Bibel lernen die Christen, wie man betet. Die Psalmen spielen eine wichtige Rolle, auch in der christlichen Gebetskultur. Diese jüdischen, grossartigen Gebete werden ins Christentum übergeführt», so Dora.

Verfestigte Rituale

Die Ausstellung «Beten – Gespräch mit Gott» zeigt prächtige Handschriften und einfache Gebetsbücher aus dem Mittelalter – und führt den Besucherinnen und Besuchern ein Detail vor Augen: Fast jedes christliche Gebet endet mit Amen.

Sendung: Radio SRF 1, Regionaljournal Ostschweiz, 8.12.2020, 17:30 Uhr ; 

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