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Gesellschaft & Religion Im Haifischbecken: Warum Forschung kein Traumjob ist

Viel Nachwuchs, sehr wenig feste Stellen – oder anders: enorme Konkurrenz, keine berufliche Sicherheit. Das ist die Realität an vielen Hochschulen. Die jungen Forscher leiden darunter, viele verlassen frustriert die Akademie. Besonders ausgeprägt ist der Exodus in der Biologie und Biochemie.

Boston in den USA ist ein Traum für Biologen. Nirgendwo sonst auf der Welt findet man auf so engem Raum so viele begabte Forschende und so viele hochkarätige Forschungsinstitute, allen voran das Massachusetts Institute of Technology und die Harvard Medical School. An dieser renommierten Hochschule forschte der junge Schweizer Lukas Baitsch, bis er seinen Job vor kurzem an den Nagel hängte. Er verliess die Akademie, so wie viele andere auch.

Der grosse Sprung zur Professur

Baitsch ist das Paradebeispiel eines begabten Forschers: Studium an der ETH Zürich, Doktorat an der Universität Lausanne, gute Noten, gute Publikationen, mehrere Preise und genügend Forschungsgelder. In seiner Karriere lief immer alles wie geschmiert. Trotzdem will Lukas Baitsch kein Forscher mehr sein. Er hat das Gefühl, in der Wissenschaft nicht wirklich seinen Interessen nachgehen zu können: «Die heissen Themen bestimmen den Geldfluss, und da muss man mitschwimmen.»

Ausserdem wurde dem Biologen bewusst, wie lange es noch bis zu einer Professur dauern würde. Die Anzahl der Doktorierenden steigt weltweit, in der Schweiz hat sie sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt, wie die neusten Schätzungen des Bundes zeigen. Manche sprechen sogar von einer «Forscher-Blase». Nur: Die Anzahl der Professorenstellen ist nicht annähernd so stark gestiegen.

Vom Labor ins Büro

Es wird für den Nachwuchs immer schwieriger, eine der begehrten Professuren zu ergattern. Bevor sie dort angekommen sind, haben die Jungforscher kaum berufliche Sicherheit. Sie hangeln sich von einer befristeten Stelle zur nächsten. In der Schweiz sind laut dem Bund 80 Prozent aller Forschenden befristet angestellt. In anderen Ländern sieht die Situation nicht besser aus.

Unangenehme Zukunftsaussichten, die Lukas Baitsch schliesslich dazu bewogen, auszusteigen. Heute arbeitet er in der Schweiz als Berater bei der Firma McKinsey. Einige seiner Freunde verstehen Lukas Baitschs Entscheid nicht: aufzuhören, wo er doch so erfolgreich war. Andere bewundern seinen Mut, das System zu verlassen, und wieder andere freuen sich, dass sie nun einen Konkurrenten weniger haben.

Fachkompetenz vs. Vitamin B

Die Biologie ist ein ausgesprochen kompetitives Umfeld. «Ein Haifischbecken» nennt es der Biologe Matthias Truttmann. Er verliess die Akademie nach seinem Doktorat an der Universität Basel. Es war ihm klar geworden, dass in der Wissenschaft nicht unbedingt die Besten weiterkommen, sondern die mit den richtigen Beziehungen. Er heuerte als Finanzberater an, doch nach eineinhalb Jahren kehrte er wieder in die Forschung zurück. Sein Herz schlug immer noch für die Biologie.

Heute arbeitet Matthias Truttmann am Massachusetts Institute of Technology in Boston. Er hatte das Glück, dort – auch nach seiner Auszeit – eine Stelle als Post-Doc zu bekommen, und setzt wieder voll auf eine Karriere in der Forschung. Längerfristig will er dafür zurück in die Schweiz, am liebsten als Assistenzprofessor. Ein ehrgeiziges Ziel. Was aber, wenn dann die Assistenzprofessur ausliefe und Matthias Truttmann keine Professur in der Schweiz bekäme? Dieser Gedanke bedrückt ihn, denn dann könnte er wieder zum Auswandern gezwungen sein.

Problem erkannt – aber was ist die Lösung?

Das Problem ist typisch für junge Forschende heutzutage. Sie müssen enorm flexibel sein, immer wieder ihren Wohnsitz wechseln und mit wenig Geld auskommen. Ihr Leben ist kaum zu planen.

Das hat auch die Schweizer Hochschulpolitik erkannt. Sie will nun korrigierend eingreifen. In der neuen Botschaft für Bildung, Forschung und Innovation will der Bundesrat Anfang 2016 Massnahmen bekanntgeben. Klar ist schon jetzt: Leicht zu lösen ist das Problem nicht. Denn eine Wissensnation wie die Schweiz braucht viel Forschernachwuchs. Sie kann aber nicht einfach beliebig viele Professorenstellen schaffen.

Währenddessen behelfen sich die jungen Forschenden mit Humor, wie mit den beliebten PhD-Comics oder mit einem kleinen Lied über die Verzweiflung des Nachwuchses.

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