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Gesellschaft & Religion Killer-Ästhetik – die Hochglanz-Propaganda der IS

Ausgefeilte Animationen, viele Waffen, wenig Blut – die Videos der Terrororganisation IS sind nahe an der vertrauten Bildsprache von Videospielen oder Hollywoodfilmen. Es zeigt sich: Die medialen Kompetenzen der Gruppierung sind in den letzten Jahren gewachsen.

«Es klingt etwas zynisch, aber unter ästhetischen und handwerklichen Gesichtspunkten sind diese Videos erstaunlich gut», sagt Bernd Zywietz. «Das ist auch tatsächlich noch nicht so lange der Fall. Wir merken auch bei den neueren Videos, dass hier Menschen am Werk sind, die sich sehr auf ihr Können verlassen und natürlich mit kalkulieren, welches Publikum sie potenziell vor sich haben und die auch auf das Wissen bei diesem Publikum setzen. Also auch ganz reduzierte Ästhetik, die dem Zuschauer viel abverlangt. Wissen, dass er quasi mitbringen soll, um zu verstehen, das einordnen zu können. Das ist eine enorm neue Qualität. Auch eine sehr unheimliche Qualität.»

Botschaften, die IS-Kampfgeist beschwören

Mann steht in einem Militärfluzeug mit einer Fahne in der Hand.
Legende: Stilisierung der Macht: Dieses Bild wurde vom Raqqa Media Center des IS veröffentlicht. Keystone

Al Hayat ist das Medienzentrum des Islamischen Staats. Von hier aus verbreiten sich die Filme, die ein funktionierendes Alltagsleben im Kalifat suggerieren wollen. Ausserdem Botschaften, die den Kampfgeist der IS-Truppen beschwören. Und natürlich verbreiten sich von hier aus auch ungeschönte Belege für angebliche Erfolge im Kampf gegen die «Kufr», die Ungläubigen.

«Es ist so eine gewisse Beiläufigkeit dabei, auch von den Kameraeinstellungen, von den Bildern, wie so etwas inszeniert ist», sagt Zywietz. «Gerade dieses Reduzierte, dieses Beiläufige, macht das so unheimlich. Ich glaube, das kennen wir ein bisschen von ‹9/11›, als wir diese Flugzeuge in die Hochhäuser stürzen sahen: Von der Inszenierung her hatte es etwas Sachliches, das wir eher mit Nachrichtenbildern assoziieren.»

Grosse mediale Kompetenz der Gruppierung

Dabei gleicht der Kampf gegen die Verbreitung der IS-Propaganda dem Kampf gegen eine Hydra. Auf jedes gelöschte Youtube-Video, auf jeden gesperrten Twitter-Account folgen zwei neue. Den Weg zu diesen finden IS-Anhänger dank der sozialen Netze binnen weniger Klicks.

Christoph Günther, Islamwissenschaftler an der Universität Leipzig, ist der Meinung: «Die medialen Kompetenzen der Gruppierung sind in den letzten Jahren gewachsen und haben qualitativ ungeheuer zugenommen. Wir haben es mit einer Gruppierung zu tun, die sich mittlerweile auch eine neue Generation von Mitstreitern gesucht hat. Wo Menschen am Werk sind, die auch mit den sozialen Netzwerken und den digitalen Medien in ganz natürlicher Weise umgehen. Und die mit der Bildsprache und mit der Sprache der Medien an sich vertraut sind und diese ganz bewusst in einer wirklich bestechend guten Weise einsetzen können.»

Radikalisierung von Jugendlichen

Wer die Sprache der Medien beherrscht, weiss damit Menschen für seine Sache zu begeistern. Zumal, wenn man in der Lage ist, Zielgruppen in ihrer eigenen Muttersprache anzusprechen. Sogar auf Deutsch – wie IS es tut. Solche Videos öffnen einer weiteren Radikalisierung von Jugendlichen, die sich bereits für den IS interessieren, mitunter Tor und Tür.

«Wenn du zu uns kommst, bist du auf jeden Fall auf der richtigen Seite. Du führst einen Kampf für die Sache Gottes», laute die Botschaft dieser Videos, so der Islamwissenschaftler Michael Kiefer von der Universität Osnabrück. «Ein weiterer wichtiger Aspekt für Jugendliche ist, dass sie einerseits bei ISIS eine Selbstüberhöhung erfahren. Darüber hinaus bietet ISIS Kameradschaft, ein soziales Netzwerk. Und alle Dinge sind geregelt.»

«Diesen Dingen entgegenstellen»

Auch auf subtilerer Ebene vermitteln die IS-Filme das Gefühl der Überlegenheit: Im Enthauptungsvideo des Journalisten James Foley kommt erst US-Präsident Barack Obama zu Wort. IS antwortet diesem – förmlich gleichgestellt – mit einer Gegenrede. Foley selbst wird wie die Häftlinge in Guantánamo in einem orangefarbenen Sträflingsoverall zur Hinrichtung geführt.

Wie kann man als Zuschauer auf ein solches Grauen überhaupt noch reagieren? «Was die sozialen Netzwerke betrifft, ist es sicherlich notwendig, dass sich Menschen diesen Dingen entgegenstellen», erläutert Michael Kiefer. «Das geschieht leider viel zu wenig. Wenn wir einen Blick auf Twitter und Facebook werfen, können wir feststellen, dass diese Videos immer weiter gepostet werden, aber relativ wenige Menschen dagegen sind. Auch wenige Muslime beziehen dagegen Position.»

Für Filmwissenschaftler Bernd Zywietz ist es sehr wichtig, «diese Videos ernst zu nehmen, auch darüber zu berichten, sie aber immer auch zu kontextualisieren. Immer auch auf die Wirkung hinzuweisen und auch auf die Ansprüche, die mit diesen Videos einhergehen, wenn sie verbreitet werden».

Propagandamschine Hochglanzvideo

Was ist der Islamische Staat? Er selbst und auch seine Videos gleichen potemkinschen Dörfern. Fast kein Journalist kann sicher in das Herrschaftsgebiet des IS gelangen, um von dort zu berichten. Wie es hinter den Kulissen der Propagandavideos aus dem Reich der Dschihadisten tatsächlich aussieht, lässt sich unmöglich beurteilen.

Trotzdem lassen sich der Islamische Staat und seine Videobotschaften nicht ignorieren. Was also tun? Es gilt, jedes Wort, jedes Bild der Propagandamaschine auf seinen Wahrheitsgehalt zu hinterfragen und sie als das zu entlarven, was sie wirklich sind: Der plumpe Versuch, ein Terrorregime mittels Hochglanzvideos zu legitimieren. Nur so kann der Islamische Staat auch für seine Anhänger entzaubert werden.

Hintergründe zum Islamischen Staat auf einen Blick

Dieser Artikel erschien ursprünglich bei 3sat.de, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen.

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