Büsra Cebeci war 19 Jahre alt, als sie das Kopftuch ablegte. Es war eine der schwersten Entscheidungen ihres Lebens, sagt sie. Und zwar wegen ihrer Familie.
«Mein Vater hat lange Zeit nicht mehr mit mir gesprochen. Und meine Mutter hat gesagt, dass sie sich schäme, mit mir gesehen zu werden», erzählt die junge Frau, die ihr Haar heute lang und offen trägt. «Meine Eltern sind bis heute tieftraurig. Weil sie überzeugt sind, dass ihre Tochter in der Hölle schmoren muss.»
Forderung der Familie
Fast zwei Drittel aller türkischen Frauen tragen das Kopftuch. Gefordert wird das nicht vom Staat, sondern von der Gesellschaft. Die entscheidende Instanz ist dabei die Familie.
«Wenn Frauen ihr Kopftuch ablegen wollen, bekommen sie es erst einmal mit ihren Vätern, Brüdern oder Ehemännern zu tun, die das verhindern wollen», sagt Cebeci. «Das kann Schläge bedeuten oder sogar Folter.»
Hashtag gegen Kopftuch
Einen einsamen Kampf führen Frauen, die das Kopftuch ablegen wollen, deshalb hinter verschlossenen Türen im Familienkreis. Doch nun ermöglichen Internet und soziale Medien ihnen die Vernetzung mit Gleichgesinnten.
«Du gehst diesen Weg nicht allein», heisst ein Internet-Portal, auf dem sich junge Frauen neuerdings gegenseitig unterstützen. Die Twitter-Kampagne #10YearChallenge nutzen viele türkische Frauen, um mit Vorher-Nachher-Fotos zu dokumentieren, dass sie das Kopftuch abgelegt haben.
Erst für, dann gegen
Die Motivationen sind unterschiedlich, sagt Büsra Cebeci, die inzwischen 25 Jahre alt ist und als Journalistin zu dem Thema recherchiert. Jüngere Frauen und Mädchen wollen meist anders leben – Sport treiben, Theater spielen oder vielleicht nur eine Fönfrisur tragen.
Ältere Frauen haben eher politische Gründe, das Kopftuch abzulegen, hat Cebeci festgestellt: «Ich kenne Frauen, die in den 1990er-Jahren für das Recht gekämpft haben, das Kopftuch zu tragen und es nun ablegen, weil sie vom politischen Islam und seinen Vertretern enttäuscht sind.»
Neue Solidarität
Der Anteil der Kopftuch-Trägerinnen in der Türkei ist laut dem Meinungsforschungsinstitut Konda im letzten Jahrzehnt von 66 Prozent auf 63 Prozent zurückgegangen, doch eine Massenbewegung ist das nicht.
Im Gegenteil: Es würden sich heute wieder mehr junge Frauen verschleiern, glaubt Büsra Cebeci, weil das von der AKP-Regierung in Schulen und Staat gefördert werde.
Neu ist ihrer Ansicht nach aber die Solidarität unter den betroffenen Frauen, die erst durch die sozialen Medien möglich geworden sei: «Seit ich dazu forsche und veröffentliche, bekomme ich Briefe von Frauen, die sagen: Ich dachte, ich wäre alleine damit.»
Mit Kopftuch «sittlicher»?
Die Teilnehmerinnen der Twitter-Kampagne ernten auch viel Kritik für ihre entschleierten Fotos. Männliche Twitter-Nutzer halten ihnen gerne vor, sie hätten mit Kopftuch besser und sittlicher ausgesehen.
Verbittert reagierte eine Regierungsberaterin, der in den 1980er-Jahren das Universitätsdiplom verweigert worden war, weil sie Kopftuch trug. Mit Freiheit habe diese Kampagne nichts zu tun, schrieb sie.
Die Regierungspartei AKP betrachtet es bis heute als einen ihrer wichtigsten Erfolge, frommen Frauen die Freiheit erkämpft zu haben, das Kopftuch in Ämtern und Universitäten zu tragen. Das war bis zu ihrem Regierungsantritt verboten.