Diego Armando Maradona: Schon sein Name ist ein Gedicht. Auch sonst gab es bei dem kleinen Argentinier immer eine Dimension, die ihn mehr sein liess als nur einen fantastischen Fussballspieler. Mundart-Schriftsteller Pedro Lenz über die kulturelle Bedeutung des Ballartisten, der am Mittwoch im Alter von 60 Jahren verstarb.
SRF: Sie haben fast geweint, als Sie vom Tode Maradonas hörten. Warum?
Pedro Lenz: Ich hatte von Maradonas Ableben schon viele Vorahnungen. Aber man denkt ja nicht, dass es dann wirklich einmal geschieht bei einem Heiligen.
Wie schätzen Sie Diego Armando Maradona denn ein – als Fussballer und darüber hinaus?
Maradona ist nicht vergleichbar. Weder mit Pelé, dem für viele Leute grössten Fussballer aller Zeiten. Noch mit den heutigen Stars wie Messi und Ronaldo. Maradona ist nicht nur ein Fussballer, sondern ein Symbol.
Wofür?
Er ist eine Art David, der gegen Goliath kämpft. Maradona hat ja mit relativ bescheidenen Klubs Unglaubliches geschafft. Er hat beispielsweise mit einer Nationalmannschaft von Tretern praktisch im Alleingang 1986 die Weltmeisterschaft gewonnen.
Er hat mit dem bescheidenen SSC Napoli mehrmals die italienische Meisterschaft gewonnen. Und das gegen den arroganten Norden, der dieses Neapel als Drittweltland verlacht. Maradona hat den Süditalienern die Würde und den Stolz zurückgegeben.
Um auf den Heiligen zurückzukommen: Was verstehen Sie unter einem Heiligen im Zusammenhang mit Maradona?
Wenn wir als Katholiken Heilige als Menschen verstehen, die Übermenschliches geschafft haben, dann ist Maradona vielleicht kein Heiliger im katholischen Sinne, aber ganz sicher im profanen.
Maradona ist ein Heiliger in dem Sinne, dass er bestehen bleibt, dass die Leute an ihn glauben. Dass die Leute an ihm Hoffnungen festmachen. Dass er ganz vielen Leuten ein Strahlen in die Augen gebracht hat.
Welchen Einfluss hat da seine Herkunft? Maradona kam von ganz unten und hat es bis ganz nach oben geschafft.
Für Leute von ganz unten ist Maradona ein Riesenvorbild. Er hat ihre Träume gelebt und verwirklicht. Als er das erste Mal in Barcelona viel Geld verdiente, hat er genau das getan, was jeder Arbeiter auf der Baustelle sich erträumt, wenn er im Lotto gewinnt.
Er hat einen Strip-Club gemietet für alle seine besten Freunde und dann nächtelang durchgetrunken. Maradona hat nicht die Vernunft bewiesen, die wir Schweizer erwarten würden. «Ah, er hat 100’000 Franken verdient in einem Monat, jetzt wird das alles auf der Bank angelegt.»
Nein, das Geld wird verprasst. Und zwar mit Drogen, Prostituierten, Alkohol und den engsten Freunden aus der Kindheit. Maradona war die personifizierte Unvernunft.
Maradona hat den Süditalienern die Würde und den Stolz zurückgegeben.
Wo sind die Figuren im Fussball, die heute auch eine gesellschaftliche Rolle übernommen haben wie früher ein Puskas, Di Stefano, Johan Cruyff und ganz besonders eben Maradona?
Die kann es gar nicht mehr geben. Der Fussball hat sich so stark verändert. Selbst ein Maradona könnte heute ein Spiel nicht mehr allein entscheiden. Es ist alles so dynamisch geworden, so berechnet, wissenschaftlich fast.
Jetzt gibt es diese Stars wie Messi oder Ronaldo. Die funktionieren perfekt wie geölte Uhrwerke. Aber sie sind angewiesen auf perfekte Mannschaften.
Cristiano Ronaldo hatte die grössten Erfolge mit einem grossen, teuren Real Madrid und Messi mit einem grossen FC Barcelona. Aber bei mittelmässigen Klubs könnten die nie ausrichten, was Maradona in Napoli ausgerichtet hat.
Das Gespräch führte Michael Luisier.