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Patriotismus in den USA Wer darf Amerikaner sein?

Amerikaner sein, aber richtig: In den USA ist der Patriotismus zu einem politischen Schwert geworden.

Amerika ist ein Land, in dem der Patriotismus gross geschrieben wird. Die Fahne ist überall zu sehen, der Fahneneid wird tagtäglich sogar in Grundschulen aufgesagt, die Nationalhymne hört man vor professionellen NBA-Spielen genauso wie vor lokalen High-School-Footballspielen.

Und immer mal wieder wird eine politische Diskussion darüber entfacht, wer eigentlich ein richtiger US-Amerikaner, eine richtige US-Amerikanerin sei. Zuletzt tat das Präsident Donald Trump. Er erklärte in mehreren Tweets , dass vier Kongressabgeordnete – alle «women of color», die ihm sehr kritisch gegenüberstehen, – doch in die Länder, aus denen sie gekommen sind, zurückkehren sollten.

Drei der Abgeordneten wurden in den USA geboren, eine kam als Kind aus Somalia und wurde als Teenagerin eingebürgert. Mit seinen von vielen als rassistisch gelesenen Kurznachrichten entfachte Trump jedoch eine neue Debatte in den USA.

Mit Immigranten zu einem besseren Amerika

Szenenwechsel. Oakland an einem Mittwochmorgen. «This land is your land, this land is my land». Die inoffizielle Nationalhymne Amerikas, geschrieben 1940 von Woody Guthrie, wird von einem lokalen Chor aus Oakland im Paramount Theatre gesungen.

Die Einbürgerung von über 1100 Immigranten aus 94 Ländern steht bevor. In dem alten, gewaltigen Art-déco-Saal aus dem Jahr 1931 schwingt Stolz, Erleichterung, Betroffenheit durch die Reihen.

Viele der Neubürgerinnen und Neubürger sind fein herausgeputzt für diesen Anlass, haben Familienmitglieder dabei, um ihre «Naturalization» zu feiern. Ein wahrlich bewegender Moment.

Arndt Peltner

Jounalist

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Arndt Peltner ist seit 1996 freischaffender Korrespondent für SRF und verschiedene deutsche Kanäle.

Ich selbst habe ihn 2013 miterlebt, als ich – gebürtiger Deutscher – amerikanischer Staatsbürger wurde. Damals wie auch an diesem Tag wurde während der Zeremonie betont, dass Amerika an diesem Tag durch die Immigranten, die nun zu Bürgern und Bürgerinnen der USA wurden, besser geworden sei.

Ein Mann mit einem Turban hält eine amerikanische Flagge.
Legende: Sichtlich gerührt: Ein Immigrant bei der Einbürgerungsfeier in Oakland, 2013. Getty Images / Justin Sullivan

Ein Land für Menschen ohne Heimat

«Gebt mir Eure Müden, Eure Armen,

Eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren,

Die bemitleidenswerten Abgelehnten Eurer gedrängten Küsten;

Schickt sie mir, die Heimatlosen, vom Sturme Getriebenen,

Hoch halt’ ich mein Licht am gold’nen Tore!

Sende sie, die Heimatlosen, vom Sturm Gestossenen zu mir.

Hoch halte ich meine Fackel am goldenen Tor.»

Dieser Text steht auf einer Gedenktafel am Fusse der Freiheitsstatue. Amerika als Einwanderungsland, als Ziel für Heimatlose, Vertriebene, für Menschen in Not. Demgegenüber steht nun ein Präsident, der die Grenzen dicht macht, der Flüchtlinge als Kriminelle bezeichnet, der das Asylrecht beschneiden will. Tür zu, das Licht am goldenen Tor wird ausgeschaltet.

Ein geeintes Volk?

Patriotismus war in einer der schwersten Krisen der jüngsten Zeit in den USA noch eine wichtige Stütze. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 brachte die amerikanische Fahne die Menschen zusammen, vereinte die Nation unter den «Stars and Stripes».

Immer schon wurde die Nationalhymne mit Stolz gesungen. Nach dem 11. September aber war es verletzter Stolz, der mitschwang.

Frauen, die mit einer amerikanischen Flagge durch das Memorial von 9/11 rennen.
Legende: Gemeinsam stark: Kurz nach den 9/11-Anschlägen zeigten sich die Amerikanerinnen und Amerikaner als vereintes Volk. Reuters / Andrew Kelly

So kamen in Washington auf den Stufen des Kongresses die Abgeordneten beider Parteien zusammen, als es am nahe gelegenen Pentagon und in New York City noch brannte. Gemeinsam stimmten sie «God Bless America» an, als Zeichen dafür, dass Amerika in diesem Moment der Krise geeint ist. Egal, welche politischen und gesellschaftlichen Gräben es auch nach der Wahl von George W. Bush gegeben hatte, an diesem und an den folgenden Tagen hiess es: We are all Americans.

Fast 20 Jahre später gibt es diese patriotische Einigkeit des 11. September nicht mehr. Patriotismus und «being American» ist zu einem politischen Schwert geworden, das vor allem vom Präsidenten selbst drohend geschwungen und eingesetzt wird. Und doch sind und bleiben die Vereinigten Staaten ein Land der Immigranten.

Was bedeutet es, Amerikaner zu sein?

Irene Bloemraad ist Soziologie-Professorin mit Schwerpunkt Immigrationsfragen an der University of California in Berkeley. Eine klare und kurze Antwort gebe es nicht darauf, was es heisst, Amerikaner oder Amerikanerin zu sein.

«Man sollte unterscheiden, ob man Amerikaner oder US-Bürger wird. Im Englischen sagt man zwar, wenn man US-Bürger wird, dann ist man ein Amerikaner.» Aber in ihrer Forschung mache man da einen klaren Unterschied.

«Die meisten Immigranten glauben, dass jeder ein US-Bürger werden kann», so Bloemraad. Man müsse dafür etwas Englisch können, gesetzestreu sein, ein bisschen über die Regierung und die Geschichte des Landes wissen – so inklusiv sei der Blick auf Amerika, «bei dem die Hautfarbe, die nationale Herkunft oder die Religion keine Rolle spielen.»

Eine Puppe, die wie Trump aussieht.
Legende: Wer ist ein «richtiger» Amerikaner? Präsident Trump glaubt es zu wissen. Reuters / Lucy Nicholson

Wenn man nachbohre, so Bloemraad, und frage, ob man sich als Amerikaner verstehe, dann verstehen sie zumeist, dass es nicht um den Pass geht, sondern eher um Identität – Mitglied im Club zu sein. Und einige sagten, sie werden nie Amerikaner werden. «Ich werde nicht als Amerikaner behandelt, nicht gleichberechtigt, nicht als Teil des Ganzen, ich fühle mich nicht gleich oder willkommen.»

Sie fühlen sich mehr als Vietnamesinnen, als Mexikaner, als Nigerianerinnen oder woher sie auch stammen. Präsident Donald Trump hat genau diese Haltung mit seiner Aufforderung, die vier Abgeordneten der Demokraten «heimzuschicken», noch einmal unterstrichen.

Kein richtiger Amerikaner

Einerseits wird man feierlich aufgenommen in die Nation, andererseits verschwindet damit nicht das Gefühl, doch nicht richtig Amerikaner zu werden: Dieser Zwiespalt führt dazu, dass viele der Neubürgerinnen und Neubürger versuchen, ihre alte Staatsbürgerschaft zu behalten, auch wenn die USA sie offiziell nur noch als Amerikaner erkennt, sie nur noch mit einem amerikanischen Pass ins Land einreisen dürfen.

Für mich, der nun zwei Pässe besitzt, ist nach 23 Jahren in den USA das Gefühl immer noch: Ich hänge irgendwo dazwischen. Deutschland ist für mich meine Herkunft, meine Prägung, meine Familie, Freunde, Muttersprache. Amerika mein Zuhause, meine neue Familie, meine beruflichen Möglichkeiten, und, ja, auch meine Zukunft.

Der Schwur auf die Verfassung, auf die Fahne und darauf, die USA notfalls auch bewaffnet zu verteidigen, ist bei der Einbürgerung alles entscheidend. Viele leisten diesen Schwur halbherzig, denn im Herzen sind wir Neubürger noch immer Mexikaner, Chinesinnen, Russen, Somalierinnen oder Deutsche.

Ein Vietnamese steht zwischen der amerikanischen und der vietnamesischen Flagge.
Legende: Was ist Heimat? Und welchem Land fühlt man sich zugehörig? Für Einwanderer keine einfache Frage. Reuters / Pool New

«I’m proud to be American» – in diesen Zeiten, in denen der Präsident der Vereinigten Staaten selbst hinterfragt, wer ein «richtiger» Amerikaner sein kann, ist es schwieriger denn je zu sagen, was das heisst. Aber eines heisst es gewiss: Man gehört dazu. Man kann und sollte sich einmischen.

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