Viele von uns erinnern sich noch ganz genau, wie sie am 11. September 2001 die Bilder des einstürzenden World Trade Centers sahen. Auch das Corona-Jahr 2020 wird uns allen im Gedächtnis haften bleiben.
Vier Kulturschaffende erzählen, welche historischen Ereignisse sich besonders in ihr Gedächtnis eingebrannt haben.
Sunil Mann: Tschernobyl
Im April 1986 wurde das Programm der Fernsehsendung «Karussell» kurzfristig umgestellt. Moderator Kurt Aeschbacher telefonierte mit ARD-Korrespondent Gunter Vielen und erfuhr, was beim Reaktorunfall im Südwesten Russlands passiert war.
Ein Funkamateur in Holland hatte eine Meldung von nicht-offizieller Seite aus Russland eingefangen. Der Betroffene aus Tschernobyl schilderte in seinem Funkspruch die Lage vor Ort. Er sprach von Toten und Verletzten und endete mit den Worten: «Sie können sich nicht vorstellen, was hier geschieht. Sagen Sie dies der Welt, damit sie uns hilft.»
Der Schriftsteller Sunil Mann war damals 13 Jahre alt. Seine Mutter, eine Inderin, arbeitete als Krankenschwester im Berner Oberland. Er lebte bei Pflegeltern in Spiez, als im fernen Russland die Reaktoren brannten. «Ich erinnere mich an leergekaufte Regale, gerade so wie diesen Frühling. Es war das erste Mal, dass in meine heile Berner Oberländerwelt, das Böse der Welt eingedrungen ist.»
Sunil Mann, der heute Krimis und Kinderbücher schreibt, sieht eine Parallele in der Kommunikation über Tschernobyl damals und das Corona-Virus heute: «In beiden Fällen wurde nicht eindeutig kommuniziert. Bei Tschernobyl wusste man nicht, wie gefährlich die Strahlung tatsächlich ist. Es gab Leute, die tendierten dazu, es schlimmer zu machen. Und dann gab es andere, die glaubten, hier in der Schweiz passiere uns nichts.»
Heidi Maria Glössner: Berliner Mauer
Am 13. August 1961 war die 18-jährige Heidi Maria Glössner zu Besuch bei ihrem Onkel in Mannheim. «Ich sehe die Bilder lebhaft vor mir», erzählt sie. Die junge Frau, die heute als Grande Dame des Theaters gefeiert wird, sass im Wohnzimmer auf dem Sofa. Im Schwarz-Weiss-Fernseher wurde gezeigt, wie Bauarbeiter mit Kelle und Mörtel eine Mauer errichten mitten durch Berlin.
Ende Jahr 1961 berichtete die Deutsche Tagesschau im Jahresrückblick über den Berliner Mauerbau. Die Westmächte unterliessen es, hört man im Bericht, gegen die Abriegelung Ost-Berlins mit schärferen Mitteln als Protesten aufzutreten.
«Damals konnte man nicht abschätzen, was werden würde. Aber es war erschreckend, dass überhaupt eine Mauer gebaut und ein ganzer Stadtteil abgeriegelt wurde», erinnert sich Heidi Maria Glössner.
Sie war 1943 als Kind von der Mutter aus Deutschland in die sichere Schweiz gebracht worden.
Sarah Elena Müller: Millennium 1999-2000
Bei der Jahrtausendwende 1999-2000 war die Musikerin und Künstlerin Sarah Elena Müller 10 Jahre alt. Am Silvesterabend empfahl das Schweizer Fernsehen den Zuschauern der Tagesschau, das Natel zwischen 22 Uhr und 2 Uhr nicht zu benutzen.
Sarah Elena Müller erinnert sich an die Aufregung damals: «Ich hatte gedacht, dass mit dem Zahlenwechsel irgendetwas von früher wieder auftaucht.» Das kleine Mädchen aus Amden, das zwanzig Jahre später Virtual-Reality-Kunstprojekte realisiert, war felsenfest davon überzeugt, dass Maria noch einmal Jesus gebären würde, oder zumindest ein Dinosaurier vom Himmel stürzt.
Die Welt hatte Angst vor dem Millennium-Bug, der Computerdaten löschen und Infrastruktur ausschalten würde. Doch passiert ist beim Jahrtausendwechsel nichts. «Es war einfach nichts. Ich war enttäuscht».
Yannick Aellen: Medikament gegen AIDS
Ende der 1990er-Jahre lebte Yannick Aellen als junger Mann in Paris. AIDS und HIV waren – vor allem auch in der Schwulenszene – omnipräsent. «Der Gummi war immer Thema. Ohne ging nichts.» erzählt der heute 44-jährige Gründer von ‹ModeSuisse›, einer Plattform für Schweizer Modedesign. Yannick Allen aus Steffisburg bei Thun arbeitete in Paris für eine Modelagentur. «Es war in den 90er-Jahren keine einfache Zeit, in die Sexualität hineinzuwachsen, und dann noch in eine homosexuelle.»
Am 9. November 1995 berichtete das Nachrichtenmagazin ‹10vor10› vom Durchbruch des neuen wirksamen Medikaments ‹Invirase›. AIDS-Spezialist Ruedi Lüthy gab sich im Beitrag hoffnungsvoll: «Das erlaubt uns erstmals, das Virus wie im Krieg von zwei Flanken anzugreifen. Und das ist ein entscheidender Fortschritt.»
Für Yannick Aellen bedeutet der medizinische Durchbruch von damals, dass Freunde heute noch am Leben sind. Und er beneidet die jungen schwulen Männer, die ihre Sexualität inzwischen wieder frei ausleben können dank PrEP, einer Safer-Sex-Methode, die vor einer HIV-Ansteckung schützt.