Manal al-Sharif wurde bekannt, weil sie sich einfach ins Auto gesetzt und losgefahren ist. Eine Freundin hat sie dabei gefilmt und das Video auf YouTube gestellt.
Im Video sitzt Manal al-Sharif als unverschleierte Frau mit Sonnenbrille am Steuer und erzählt, dass in ihrem Land Saudi-Arabien selbst Frauen mit einem Professoren-Titel nicht Autofahren dürfen. Das wolle sie ändern.
Denn es sei schliesslich in einem Notfall wichtig. «Was solle denn eine Frau machen, wenn ihr Mann einen Herzinfarkt erleidet?», fragt Al-Sharif. Sie dürfe ihn noch nicht einmal ins Spital fahren.
Klapprige Wagen, stinkende Fahrer
In Saudi-Arabien waren Frauen bisher auf einen Fahrer angewiesen. Das sind meistens Ausländer, die vielfach nicht mal eine gültige Fahrerlaubnis und keine Fahrstunden absolviert haben.
Fahrer, die ungepflegt seien, stinken – wie Manal al-Sharif berichtet – und klapprige Wagen fahren.
Eigenartig ist, dass eine Frau dadurch mit einem fremden Mann im Auto sitzt. Sonst ist es Frauen nicht mal erlaubt, mit Männern, die nicht mit ihnen verwandt sind, im gleichen Raum zu sein. Im Restaurant zum Beispiel gibt es Wände, die beide Geschlechter trennen.
Kampf ums Steuer
Dass das Fahrverbot nun aufgehoben wird, dazu hat auch das Video von Al-Sharif beigetragen. Über ihren Kampf hat sie ein Buch geschrieben mit dem Titel «Losfahren».
Al-Sharif ist Ende 30, Mutter, geschieden. Sie hat studiert und ist die erste saudische IT-Expertin für Datensicherheit. Sie war eine zeitlang in den USA und hat dort die Fahrprüfung gemacht. Vor ihrem Haus in Saudi-Arabien stand ein eigenes Auto. Das sie nicht fahren durfte.
Um 2 Uhr morgens verhaftet
2011, nach der Veröffentlichung des Videos, kommt die mutige Frau ins Gefängnis. Sie kann gerade noch kurz twittern , was ihr passiert. In «Losfahren» erinnert sie sich:
«Die Geheimpolizei kam um zwei Uhr morgens, um mich zu holen. Schlug gegen die Tür. Ein lautes, hartes Geräusch, dröhnend, das den Türrahmen erzittern liess. Mein fünf Jahre alter Sohn schlief.»
Einflussreiche Leute setzen sich für sie ein. Ihr Vater, ein einfacher Taxifahrer aus Mekka, bittet den König um Gnade. Manal al-Sharif kommt nach ein paar Tagen frei. Wahrscheinlich auch dank den sozialen Medien, die ihre Geschichte überall in der Welt sichtbar machen.
Königreich mit Millionen Königinnen
In ihrem Buch gibt Al-Sharif eine häufige Begründung wieder, warum Frauen nicht Autofahren sollen. Sie klingt abstrus: «Saudische Männer bezeichnen Frauen als Königinnen und behaupten, Königinnen würden nicht selbst fahren. Frauen machen sich über diesen Titel lustig und höhnen: ‹Das Königreich mit einem König und Millionen Königinnen›. Oder sie posten ein Foto von Königin Elisabeth II., wie sie ihren Jaguar fährt, und sagen: ‹Wahre Königinnen fahren ihre eigenen Autos›.»
Auch ein Gesellschaftsroman
In «Losfahren» von Manal al-Sharif geht es aber nicht nur um das Fahrverbot für Frauen. Eindrücklich ist auch, wie sie die saudische Gesellschaft schildert. «Unsere Kultur ist eine Kultur der verstohlenen Blicke, Frauen spähen durch die Vorhänge oder Türen, weil sie wissen wollen, was läuft.»
Sie schreibt, wie in der Schule unterrichtet wird. Frontalunterricht, ohne Diskussion. Auswendiglernen und Wiederholen. Wie Kinder – natürlich vor allem die Mädchen – zahm und willensschwach gemacht werden.
Wie die Angst vor Schlägen das Verhältnis zu den Eltern bestimmt. Wie ihre Mutter aber auch darauf beharrt hat, dass ihre Töchter eine gute Ausbildung bekommen und nicht schon als Teenager verheiratet werden.
Man liest, wie Al-Sharif als erwachsene Frau nur mit Zustimmung des Vaters ein Geschäft abschliessen kann. Oder wie sie nur in Begleitung ihres jüngeren Bruders auf einem Amt vorsprechen kann.
Manal al-Sharif ist eine überzeugte Muslimin. Aber sie wehrt sich gegen die Ungleichbehandlung von Mann und Frau. Heute lebt sie mit ihrem zweiten Mann und einem zweiten Sohn in Australien.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktuell, 27.9.17, 17.08 Uhr