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Schauspieler Jeff Wilbusch «Ich bin vielleicht frei, aber nicht befreit»

Die Serie «Unorthodox» handelt von der Flucht aus einer ultraorthodoxen Gemeinde. Jeff Wilbusch hat das selbst erlebt.

Am Anfang stand ein Weltbestseller: die Autobiographie einer jungen Frau, die aus einer ultraorthodoxen jüdischen Gemeinde ausstieg. Die Rede ist von Deborah Feldman, die in Brooklyn bei den Satmarer Chassidim aufwuchs und sich als 23-jährige von ihrem Umfeld löste.

Angelehnt an ihre Geschichte wurde die Netflix-Serie «Unorthodox» gedreht. Darin spielt auch der jüdisch-deutsche Schauspieler Jeff Wilbusch. Für ihn war die Rolle eine Reise in seine Vergangenheit.

Vor 19 Jahren ist auch er aus einer ultraorthodoxen jüdischen Gemeinde geflohen. Da war Wilbusch 13 Jahre alt und hatte gerade seine Bar-Mizwa hinter sich.

Zu viel hinterfragt

«Ich war ein sehr neugieriges Kind und habe alles hinterfragt», sagt Wilbusch. «Ich glaube, das war zu viel für meine Eltern und die Gemeinde.»

Seine Familie gehörte damals zu den Neturei Karta, einer extremen Strömung innerhalb des ultraorthodoxen Judentums, deren Vertreter genauso wie die Satmarer-Chassidim den Staat Israel ablehnen.

Zwei orthodoxe Juden am Flughafen.
Legende: Estys Ehemann Yakov (Amit Rahav, r.) und dessen abgebrühter Cousin Moishe (Jeff Wilbusch) treffen in Berlin ein. Netflix

Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit

Die Dreharbeiten zu «Unorthodox» haben bei Wilbusch eine Tür in die Vergangenheit aufgestossen, viele Erinnerungen an seine eigene Geschichte kamen hervor.

«Es war wie ein Keller, in dem man alte Erinnerungen und Fotos in Boxen weggesperrt hat. Das hat bei mir ganz viel ausgelöst», erklärt der Schauspieler.

Den breiten Hut und den langen Mantel – also die Kleider die man als Erwachsener trägt – habe er zwei Wochen, bevor er seine Familie und Gemeinde verliess, bekommen. Das seien die letzten Bilder in seinem Kopf. Entsprechend seien seine Erinnerungen an jene Zeit vom kindlichen Blick geprägt.

«Immer wieder komme ich in meinen Erinnerungen zu diesem Zeitpunkt zurück. Beim Geruch der Gebetsriemen etwa, oder wie diese sich auf der Haut anfühlen», so Wilbusch.

Ganz eigene Regeln

Wilbusch wuchs im Jerusalemer Stadtteil Me’a Sche’arim auf, einem Zentrum ultraorthodoxen Lebens mit ganz eigenen Regeln. Technologie etwa wird fast komplett abgelehnt.

Die ersten acht Jahre nach seiner Flucht hatte Wilbusch keinen Kontakt zur Familie. Zeitweise lebte er auf der Strasse, wusste nicht, wie viele Geschwister er inzwischen hatte, wo die Familie wohnte und wie es ihnen ging. «Das war sehr schmerzhaft für mich», erzählt Wilbusch.

Die Serie «Unorthodox»

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Ein junge Braut liest in einem Büchlein.
Legende: Netflix

Die vierteilige Serie ist die stark abgeänderte Verfilmung des 2012 veröffentlichten autobiographischen Bestsellers «Unorthodox» von Deborah Feldman.

Die Geschichte der Serie ist schnell erzählt: Eine junge Frau (Shira Haas) befreit sich von der ultra-orthodoxen jüdischen Religionsgemeinschaft der Satmarer Chassidim in New York und fängt ein neues Leben in Berlin an.

Auf Netflix läuft die Serie seit Ende März und erfreut sich grosser Beliebtheit. Ein Phänomen, das man vor mehreren Jahren auch bei der ebenfalls auf Netflix zu findenden Serie «Shtisel» beobachten konnte. Auch dort erhält man Einblicke in das Leben einer ultraorthodoxen jüdischen Familie in Jerusalem.

Als er begann, sich für die Serie vorzubereiten, habe er zwei seiner 14 Geschwister und schliesslich sogar seine Eltern getroffen.

Vermisst er heute die Gemeinschaft und Spiritualität? «Ich glaube, das werde ich mein ganzes Leben lang vermissen» erzählt er nachdenklich. «Ich will und kann nicht zurück in eine solche Gemeinde. Aber natürlich ist das meine Familie und ein Teil meiner Identität. Ich glaube, das werde ich nie wieder so finden.»

Frei, aber nicht befreit

In «Unorthodox» spielt Wilbusch den spielsüchtigen Moische, der die Protagonistin Esty wieder in die ultraorthodoxe Gemeinde zurückholen soll. Dies tut er mit unlauteren Mitteln: Er bedroht sie und legt ihr nahe, sich das Leben zu nehmen.

«Ich habe Moische aus ein paar Leuten, die mir weh getan haben, zusammengebastelt. Die andere Seite zu spielen war für mich sehr interessant.» Ein solcher Perspektivwechsel sei das grösste Geschenk, meint Wilbusch, weil man sich dadurch selbst viel näher komme.

Fühlt er sich inzwischen befreit? «Befreit von meiner Geschichte? Nein. Ich bin vielleicht frei, aber nicht befreit. Ich arbeite daran, aber es ist nicht einfach.»

Sendung: SRF 1, Sternstunde Religion, 17. Mai 2020, 10:00 Uhr

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