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50 Jahre Schweiz im Europarat
Aus Tagesschau vom 06.05.2013.
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Gesellschaft & Religion Seit 50 Jahren ist die Schweiz Mitglied im Europarat

Den Europarat, das steht sogar auf der Website des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten, dürfe man nicht verwechseln mit dem «Europäischen Rat» der Staats- und Regierungschefs der EU. Bei dem einen ist die Schweiz nicht dabei, beim Europarat schon: seit 6. Mai 1963.

Die Öffentlichkeit kennt vor allem eine Institution des Europarats: den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der ebenfalls in Strassburg angesiedelt ist. Seine Grundlage ist die bekannteste Errungenschaft des Europarats, nämlich die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) von 1950.

Weniger bekannt ist zum einen das Ministerkomitee, bestehend aus den 47 Aussenministern, die sich zweimal im Jahr treffen; und zum anderen die parlamentarische Versammlung des Europarats. Diese hätten sich die Gründer des Europarats 1947 eigentlich als «verfassunggebende Versammlung» des neuen, befriedeten Europa gedacht, sagt Andreas Gross, SP-Nationalrat und Fraktionschef der Sozialdemokratischen Parteien in Strassburg zu Radio SRF 2 Kultur.

318 Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus den 47 Mitgliedstaaten arbeiten in dieser Versammlung mit. Sie kann den Mitgliedstaaten neues Recht vorschlagen, aber nicht Recht setzen. Die Vorlagen, die sie ausarbeitet, werden erst zum Gesetz, wenn dies die nationalen Parlamente entscheiden.

Die Schweizer Delegation in der parlamentarischen Vertretung
Legende: Die Schweizer Vertretung in der parlamentarischen Versammlung. Keystone

Die Schweizer Vertretung

Für die Schweiz sitzen in der parlamentarischen Versammlung aus dem Ständerat Lilian Maury Pasquier (SP, Genf) und Urs Schwaller (CVP, Freiburg) sowie aus dem Nationalrat Doris Fiala (FDP, Zürich), André Bugnon (SVP, Waadt), Andreas Gross (SP, Zürich) und Alfred Heer (SVP, Zürich).

Dieses Organ des Europarats hat bisher über 200 juristisch verbindliche Instrumente ausgearbeitet, Konventionen, Verträge und Zusatzprotokolle. Das inhaltliche Spektrum spannt das EDA auf seiner Website so auf: «vom Schutz der Menschenrechte bis zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens, von der Ächtung der Folter bis zum Datenschutz oder zur interkulturellen Zusammenarbeit».

Bundesrätin Ruth Dreifuss nannte bei der Feier zum 40. Bestehen des Europarats 1989 als zentrale Elemente von dessen Tätigkeit: «die Verteidigung der Menschenrechte, den sozialen Zusammenhalt und die Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger, darüber hinaus die gute Integration der neuen Mitgliedsstaaten, die unerlässlich ist für die demokratische Stabilität in Europa.»

Völkerverständigung

Andreas Gross, der seit 1995 in der parlamentarischen Versammlung des Europarats mitarbeitet, erwähnt schmunzelnd zusätzlich das «Interrail-Billett», das es in den Zeiten vor der Billigfliegerei unzähligen jungen Leuten ermöglicht habe, zu einem günstigen Tarif die europäischen Nachbarn kennenzulernen.

Und dieser Gedanke passt durchaus zum grundlegenden Gedanken des Europarats: der Völkerverständigung. SP-Nationalrätin Doris Morf, 1984-90 selbst in Strassburg, fasste diese Grundideen 1989 im Interview mit Radio DRS so zusammen: «Der Europarat ist gegründet worden, damit man sich nicht den Schädel einschlägt, sondern damit man miteinander spricht und versucht, die Probleme so zu regeln, dass es nicht wieder zu solchen Schwierigkeiten führt, wie das früher der Fall war. Der Europarat ist nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet worden unter dem Titel: Man will nie mehr diesen Rückfall in die Barbarei. Man will nie mehr, dass europäische Staaten gegeneinander Krieg führen.»

Reformbedarf?

Bundesrat Didier Burkhalter mahnte im April vor der parlamentarischen Versammlung in Strassburg Reformen an. Der Europarat müsse sich wieder mehr auf seine eigentlichen Kernbereiche konzentrieren, auf Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.

Andreas Gross während einer Plenarsitzung in Strassburg
Legende: Andreas Gross findet, dass es selbst in Europa mit der Demokratie nicht immer zum Besten stehe. Keystone

Andreas Gross hält diese Forderung für einen «alten Hut» und spielt den Ball zurück: «Dieser Diskurs verkennt, dass die Regierungen, die Regierungschefs und die Diplomaten viel zu wenig gemerkt haben, wie morsch diese Grundpfeiler sind.

Dass die Demokratie zu wenig Zuwendung bekommt, auch in Staaten der Europäischen Union, in Bulgarien, in Ungarn, in Mazedonien, Albanien, in anderen Ländern, die noch nicht zur EU gehören, aber zum Europarat. Da liegen die Rechtsstaatlichkeit, die Menschenrechtssituation, die Demokratie im Argen. Da müssen wir viel mehr tun, wenn wir dem Europarat wirklich nachleben wollten. Das hat mit Reformen nichts zu tun, sondern mit dem mangelnden Engagement und auch mit den mangelnden Finanzen, welche die Regierungen bereit sind, für diese Arbeit bereitzustellen.»

5,3 Millionen Euro steuert die Schweiz im Jahr 2013 ans ordentliche Budget des Europarats bei. Das sind 2,2% des Gesamtbudgets.

Störfaktor Parlamentarische Versammlung

Gross tönt denn im Gespräch mit «Kontext» auf SRF 2 Kultur auch an, dass die Diplomaten am Wirken des Europarats nicht immer grosse Freude hätten, denn der Rat sei eine internationale Institution mit funktionierendem Parlament. Deshalb zögen Diplomaten Posten bei anderen Institutionen wie etwa der OECD einem Amt in Strassburg vor.

Viel Dunkel

Die Arbeit in Strassburg gefalle ihm, sagt Andreas Gross, doch: «Politisch macht die Sache nicht sehr Freude, weil es mehr Elend, mehr Dunkel gibt als Licht. Die Schwerpunkte des Europarats, die Demokratie, der Rechtsstaat, die Freiheit, die Toleranz, der Respekt, die Menschenwürde, mit denen liegt es massiv im Argen heute.

Heute haben sehr viele Europäer nicht das Gefühl, sie würden in einer Demokratie leben und ihre Würde werde geachtet. Das ist ein Zeichen einer unglaublichen Regression.

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50 Jahre im Europarat
aus 100 Sekunden Wissen vom 06.05.2013. Bild: Keystone
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Mit anderen Worten: Dem Europarat und seinen wichtigsten Institutionen, dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und der parlamentarischen Versammlung, wird die Arbeit nicht ausgehen.

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