Viele unserer Alltagswörter verschleiern ihre Herkunft. Sie geben vor, was sie sein könnten – was sie ursprünglich aber gar nicht waren. Der Polier etwa, Vorarbeiter der Maurer und Zimmerleute auf dem Bau: Was genau poliert der eigentlich? Gibt er der Arbeit seiner Truppe den letzten Schliff?
Nein. Er parliert (zu französisch «parler»). Er ist also wörtlich der Wortführer auf dem Bau. Im 19. Jahrhundert wurde Parlier offenbar nicht mehr verstanden und deshalb volksetymologisch ans Verb polieren angeschlossen.
Aufpolierte Wörter
Volksetymologie ist ein «Assimilationsvorgang, entsprungen letzten Endes dem Bedürfnis oder der Freude zu verdeutlichen», wie es bei Walter Henzen im Standardwerk zur deutschen Wortbildung heisst. Man poliert sozusagen ein unverständliches Wort auf, indem man ihm einen (neuen) Sinn gibt.
Worte wie das Murmeltier, das ja bekanntlich pfeift und nicht murmelt. Sein Name geht auf das Romanische «murmont» zurück, das seine Wurzeln im lateinischen «mus montanus» (Bergmaus) hat. Ins mittelalterliche Deutsch kam das Wort als «murmentin», das bald zu Murmeltier umgedeutet wurde.
Verschwundene Wörter
Im Lauf der Geschichte verschwinden auch ganze Wortfamilien aus der Sprache. Aber in zusammengesetzten Wörtern oder in festen Begriffen bleiben sie wie Fossilien erhalten.
In Friedhof zum Beispiel geht der erste Wortteil auf das althochdeutsche «frîten» (hegen) zurück. Friedhof bedeutet also wörtlich «eingehagter Hof» und bezieht sich auf den Vorhof eines Herrenhauses oder einer Kirche.
Erst als die Bedeutung «eingehagt» nicht mehr verstanden wurde, deutete man den Friedhof als «Hof des Friedens» um, wo die Verstorbenen ihre letzte Ruhe finden. Solcherart isolierte Wortteile werden wie Pflegekinder in eine neue Wortfamilie aufgenommen und dort mehr oder weniger assimiliert.
Schmettert der Schmetterling?
Ein Wort wie Schmetterling bleibt allerdings ein ewiges Sorgenpflegekind in der neuen Familie, wie Heike Olschansky in «Täuschende Wörter» schreibt.
Denn «schmetter» klingt zwar ähnlich wie das tschechische «smetana» (Milchrahm), worauf der Schmetterling wohl zurückgeht – und zeigt so auch Ähnlichkeiten mit der englischen «Butterfliege» (butterfly). Mit dem groben Schmettern wird man das zarte Flattertier aber wohl nie in Einklang bringen.
Fast, aber nicht ganz
Auch viele Ortsnamen werden gerne und oft volksetymologisch neu gedeutet. Bern hat nichts mit einem Bären zu tun und Füllinsdorf nichts mit einem Fohlen. Aber diese irrtümlichen Ableitungen sind hartnäckig und werden gerne in den Gemeindewappen verewigt.
Warum auch nicht? Die Fachleute mögen darüber lachen, aber darin spiegelt sich das urmenschliche Bedürfnis, der Welt einen Sinn zu geben.
Sendung: Treffpunkt auf Radio SRF 1, Treffpunkt, 30.1.2020, 10 Uhr und Radio SRF 1, Schnabelweid, 30.01.2020, 21 Uhr