Silvia Bolliger hat Universitätsgesetze, Protokolle und Akten aus den Jahren zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg ausgewertet. Das Fazit der Historikerin: Antisemitismus wurde an der Universität Zürich zu jener Zeit geduldet, ja sogar unterstützt.
Allerdings sei er versteckt gewesen: «Man muss in den Protokollen genau hinschauen, um die Ressentiments zu sehen, insbesondere gegenüber ‹Ostjuden›, aber auch gegenüber deutschen und polnischen Juden.»
Bolliger hat mit ihrer Dissertation «Im Zeichen der Nationalisierung» eine Forschungslücke geschlossen. Bislang war über jene Zeit nur wenig bekannt.
Höhere Auflagen für ‹Ostjuden›
Nun ist klar: Die Universität Zürich erliess antisemitische Massnahmen, noch bevor die Nationalsozialisten in Deutschland an die Macht kamen. «Die Universität Zürich hat schon in den 1920er-Jahren von ‹Ostjuden› – und zwar nur von ‹Ostjuden›, als erste und einzige Ausländergruppe – bei der Immatrikulation eine Zusatzbescheinigung verlangt.»
Die «Ostjuden», also Juden aus Osteuropa, hätten belegen müssen, dass sie genügend Geld für ein Studium haben. Andere Ausländer hingegen waren zunächst noch willkommen.
Das sogenannte Ausländerstudium hatte in der Schweiz eine lange Tradition. Qualifizierte Studierende aus dem Ausland sollten die Schweizer Hörsäle füllen. Auch weil die Schweiz selbst zu wenige Studierende hatte.
In den 1920er-Jahren gab es deswegen immer wieder Konflikte zwischen der Uni Zürich und der Fremdenpolizei, die die Ausländer zunehmend mit Argwohn beobachtete.
«Nicht assimilierbare Elemente»
«Es ist belegt, dass die Fremdenpolizei ihnen systematisch den Aufenthalt in der Schweiz versagte», so Bolliger. Zum Zeitpunkt, als die Universität Zürich gerne mehr ausländische Studierende angezogen hätte, habe sich die Fremdenpolizei kontraproduktiv verhalten.
So forderte sie etwa die kantonalen Stellen dazu auf, «Ostjuden» aus Gründen der «Überfremdung» nicht in die Schweiz einreisen zu lassen. Sie wurden von den Behörden als «unerwünschte, nicht assimilierbare Elemente» diffamiert.
Die «Willkommenskultur» an der Universität Zürich endete Ende der 1920er-Jahre, als immer mehr Studienanwärter aus Amerika, Polen und später Nazideutschland in die Schweiz kamen.
Selektiv bis ablehnend
Die Zeiten hatten sich gewandelt. Zürich war nicht mehr auf ausländische Studenten angewiesen. Sie konnten die Hörsäle mit Nachwuchs aus dem eigenen Land füllen.
Entsprechend selektiv bis ablehnend war ihre Haltung den Bewerbern gegenüber. Die Universität Zürich wollte nur noch fortgeschrittene Studierende zulassen, so Bolliger.
Plötzlich ziehen Fremdenpolizei und Universität an einem Strang: «Es ist offensichtlich, dass die Universität ausländische Studierende als Manövriermasse betrachtete. Insofern war diese Politik nicht liberal, sondern pragmatisch-opportunistisch.»
Die Frage nach der Konfession
1933 ging die Universität noch einen Schritt weiter, indem sie im Immatrikulationsbogen die Frage nach der Konfession einführte. Da war die Zulassung von Juden plötzlich kontrollier- und steuerbar. Eine Diskriminierung, die zum Beispiel die benachbarte ETH nie vornahm.
Das ist ein Indiz für Bolliger, dass es sich nicht um eine Vorschrift seitens der Behörden gehandelt hat, sondern um eine schulinterne Entscheidung. Eine, die sie als «diskreten Antisemitismus» bezeichnet.