Am diesjährigen Philosophie-Festival in Zürich stellt sich die Philosophin Eva Weber-Guskar den Fragen des Publikums. Das Festivalthema: Entscheidungen. Weber-Guskars Schwerpunkt: Das Bauchgefühl. Die Philosophin erklärt, wann wir unserem Bauchgefühl trauen können und wann es nichts zu melden hat.
SRF: Was ist eigentlich das Bauchgefühl?
Eva Weber-Guskar: Mit «Bauchgefühl» ist im Zusammenhang von Entscheidungen eine Art von Intuition gemeint. Genauer: es ist getriggerte Erinnerung, die mit einer starken Wertung in die eine oder andere Richtung einhergeht.
Man kann auch von einem Impuls aus implizitem Erfahrungswissen sprechen. Wir haben es also nur, wenn wir schon Erfahrungen gemacht haben. Je nachdem, wie diese waren, ist es dann sinnvoll, sich auf das Bauchgefühl zu verlassen oder nicht.
Wie viel Bauch bzw. Vernunft gehört in die Entscheidungsfindung?
Ein kurzer Überblick: rational heisst, sich aus guten, nachvollziehbaren Gründen für etwas zu entscheiden, irrational heisst, es gegen gute Gründe zu tun und arational heisst, es ohne gute Gründe zu tun. Ein Bauchgefühl ist so verstanden arational, weil wir nicht sagen können, warum wir jetzt eher zum einen oder zum anderen tendieren.
Geht man davon aus, dass gute Entscheidungen rationale Entscheidungen sind, und Gefühle nicht rational sind, könnte man zum Schluss kommen, dass eine Entscheidung aus dem Gefühl heraus keine gute Entscheidung ist. Aber erstaunlicherweise zeigt sich, dass es sich oft lohnen kann, doch unserem Bauchgefühl zu folgen.
Auf das Bauchgefühl kann man hören, wenn es um reine Gefühlsdinge geht.
Warum kann man bei manchen Entscheidungen dem Bauchgefühl vertrauen?
Das Bauchgefühl kann aus zwei Gründen hilfreich sein. Erstens ist es oft schneller im Erfassen von Aspekten, die für die Bewertung relevant sind. Zweitens kann das Bauchgefühl oft viele Einzelaspekte erfassen, die schon mal eine Rolle gespielt haben. Sie sind auf einer basalen Erinnerungsebene gespeichert. Im bewussten Denken können wir die manchmal nicht alle so klar bezeichnen oder begründen.
Wann sollte man auf sein Bauchgefühl hören – wann rationale Argumente abwägen?
Auf das Bauchgefühl kann man hören, wenn es um Geschmacksentscheidungen oder reine Gefühlsdinge geht: Bei der Auswahl eines Kunstwerks oder einem neuen Möbelstück. Bei der Frage, welchen Menschen man vertrauen kann. Natürlich sollte man bei der Partnerwahl schauen, wen man liebt. Liebt man aber zwei Leute und muss sich entscheiden, wird eine Pro-Contra-Liste nicht helfen.
Machen wir mehr richtig, wenn wir weniger denken?
In bestimmten Bereichen, ja. Natürlich gibt es viele andere Entscheidungsfragen, wo das nicht der Fall ist. Will ich die Lösung einer mathematischen Gleichung finden und kriege zwei Antwortoptionen, hilft das Bauchgefühl wenig.
Kann man sein Bauchgefühl trainieren?
Das Bauchgefühl selbst wahrscheinlich nicht, aber man kann die Sensibilität dafür trainieren. Man kann der Frage «Was würde ich spontan tun?» Raum geben und ihr nachspüren. Wenn man eine Liste macht und lange darüber nachdenkt, unterdrückt man dieses Gefühl.
In der Politik darf das Bauchgefühl keine grosse Rolle einnehmen.
Gibt es Situationen, wo Kopf und Bauch zusammenarbeiten – oder eben nicht?
In den meisten Fällen arbeiten sie zusammen. Diese Zusammenarbeit sollte man auch verstärken. Bei grossen Entscheidungen wie etwa der Berufswahl sollte beides zusammenkommen: da sollte es darum gehen, dass man etwas tut, was einem Freude bereitet, aber auch, dass man etwas wählt, womit man sein Leben bestreiten kann. Darum sollte man Emotionen beachten, aber auch rational abwägen.
Bei komplexen Entscheidungsfragen ist es ratsam, dem Bauchgefühl Zeit zu lassen: die berühmte Nacht, die man «noch einmal darüber schlafen» soll, nachdem man alle verfügbaren Informationen gesammelt hat, bewusst und unbewusst. Dann kann «der Bauch» aus der Erinnerung heraus reagieren. Am nächsten Morgen erwacht man mit einer Tendenz, sich eher so oder anders zu entscheiden.
Sollten PolitikerInnen Bauchentscheidungen treffen?
In der Politik darf das Bauchgefühl keine grosse Rolle einnehmen. Weil es um viele Menschen geht, um andere als mich und um grosse, komplexe Zusammenhänge. Bei politischen und moralischen Entscheidungen ist viel mehr zu berücksichtigen als bei persönlichen Entscheidungen.
Das Gespräch führte Ana Matijašević.