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Gesellschaft & Religion Von einem Gott zum andern

Sie sind super-religiös, gläubiger als alle andern: Konvertiten sind «bessere» Christen, Muslime oder Juden als alle Religionsgründer zusammen. Würde man meinen. Die Ausstellung «Treten Sie ein! Treten Sie aus!» im Jüdischen Museum Hohenems belehrt eines Besseren.

Hohenems liegt an einer Grenze. Zwischen Österreich und der Schweiz. Hier gelang einigen Juden in der Nazi-Zeit die Flucht. Und viele von denen, die gerade dem Tod entkommen waren, wurden von Schweizer Behörden zurückgeschickt - zurück in den sicheren Tod.

Das muss man nicht wissen, wenn man die Ausstellung «Treten Sie ein! Treten Sie aus! –  Warum Menschen ihre Religion wechseln» im Jüdischen Museum Hohenems besucht. Aber man versteht besser, dass Konvertieren zu jeder Zeit und an jedem Ort etwas Anderes bedeuten kann

Religionswechsel aus der Perspektive von Lebensgeschichten

Grafik mit Menschen und religiösen Symbolen, Ausstellungsplakat zu «Treten Sie aus! Treten Sie ein!»
Legende: Warum wechseln Menschen ihre Religion-zugehörigkeit? Ausschnitt aus dem Ausstellungsplakat. Jüdisches Museum Hohenems

Die Ausstellung präsentiert mir keine grossen Theorien, keine anonymen Zahlen. Dafür viele Einzelschicksale. Biografische Skizzen von Menschen, die ihr altes religiöses Leben verlassen haben, um in ein Neues einzutreten. Lebensgeschichten vom Mittelalter bis in die Gegenwart lassen die Ursachen, die Motive erkennen, warum sich Menschen auf das Abenteuer des Konvertierens einlassen.

Da wird von Christen erzählt, die Muslime wurden, von Jüdinnen, die zum Katholizismus konvertierten, von Atheisten, die den Buddhismus entdeckten. Fotos, Texte, persönliche Gegenstände und Dokumente lassen die Biografien lebendig werden, lassen mich nachfühlen, warum man Sinn suchend von einer neuen Religion fasziniert wird.

Jede Zeit kennt andere Motive

Das Ehepaar Josef und Antonie Brüll, 1938.
Legende: Josef und Antonie Brüll, 1938. Jüdisches Museum Hohenems

Hohenems – die Grenze. Während des Nationalsozialismus haben Juden durch die Taufe versucht, als Konvertiten der Verfolgung zu entkommen. Oft vergeblich. Wie Josef Brüll, der 1939 zum katholischen Glauben übertrat und 1941 dennoch den Judenstern tragen musste. Drei Monate später wurde er umgebracht.

Als nach dem Krieg Deutschland in Trümmern lag, da gab es Deutsche, die zum Judentum konvertieren wollten. Wie Inge B., die aus Scham und Empörung nicht mehr deutsche Christin sein wollte, sondern Jüdin. Ihr Beispiel zeigt mir endrücklich, wie sehr die Geschichte persönliches Schicksal bestimmt.

Gustav Mahler, der geniale Komponist schrieb 1894 an einen Freund: „Mein Judentum verwehrt mir … den Eintritt in jedes Hoftheater.“ Er liess sich taufen. Doch trotz seiner musikalischen Erfolge zeigte sich die feine Wiener Gesellschaft ihm gegenüber weiterhin von ihrer besten antisemitischen Seite.

Konversion, der Wechsel von einer zu einer anderen Religion, kennt drei Phasen. Das erläutert Hanno Loewy, Direktor des Jüdischen Museums Hohenems das Konzept der Ausstellung.

Video
Hanno Loewy: «Konvertiten haben ihre Geschichte»
Aus Kultur Extras vom 19.12.2012.
abspielen. Laufzeit 44 Sekunden.

Pragmatisch und spirituell

Portrait von Leopold Weiss, alias Muhammad Asad, um 1920, in arabischer Tracht.
Legende: Leopold Weiss bekannte sich zu Allah und wurde als Muhammad Asad zum bedeutenden islamischen Gelehrten. Jüdisches Museum Hohenems

Die Ausstellung «Treten Sie ein! Treten Sie aus! – Warum Menschen ihre Religion wechseln» funktioniert wie ein Labor: Jede einzelne Geschichte ist so unterschiedlich und wirft wieder neue Fragen auf: Da suchen Menschen nach persönlichem Glück, wollen heiraten – und wechseln deshalb die Religion.

Oder sie finden eine neue spirituelle Heimat. Wie der Jude Leopold Weiss, der in den 1920er Jahren Muslim und als Muhammad Asad zu einem wichtigen islamischen Gelehrten wurde, die pakistanische Verfassung mitformulierte und dann – als Höhepunkt – den Koran neu übersetzte, neu interpretierte.

Sein Islam ist eine weltoffene, tolerante Religion, vielleicht deshalb, weil er ein Grenzgänger war, der mehr als nur eine Religion, eine Kultur kannte.

Konvertieren als Chance

Doch was erzählt diese Ausstellung über unsere heutige profane weltliche Gegenwart? Welche Rolle spielt Religion in einer globalisierten Welt, in der meine unmittelbaren Nachbarn aus verschiedensten Kulturkreisen kommen?

Hanno Loewy fügt hinzu: „Wir leben in einer Zeit, in der es die Menschenrechte gibt. Und zu diesen Menschenrechten gehört nicht nur das Recht auf freie Ausübung seiner Religion, sondern auch das Recht zum Wechsel der Religion. Beides ist ein Menschenrecht.“

Video
Hanno Loewy: «Auch Religionen verändern sich»
Aus Kultur Extras vom 19.12.2012.
abspielen. Laufzeit 21 Sekunden.

Durchlässige Grenzen

Wer konvertiert, nimmt immer ein Stück vom Alten mit in das Neue. So werden Grenzen durchlässig. Und die Ausstellung macht deutlich, wie wenig das Klischee vom nervigen religiösen Musterschüler stimmt, dessen Bart länger ist als alle Bärte sämtlicher Propheten. Wie wenig es mit der Lebensrealität von Konvertiten zu tun hat.

Ich finde das Klischee nicht wieder in der Summe der vielen Lebensgeschichten, die mir die Ausstellung präsentiert. Vielmehr erfahre ich, wie vielfältig die Motive sind, wie schwierig und konfliktbeladen der Prozess des Übergangs ist, wenn man die alte Religion hinter sich lässt und sich frei macht für eine neue.

Ich fahre zurück, über die Grenze, die früher unüberbrückbar war, heute offen und durchlässig ist. Grenzen haben andere Bedeutungen bekommen, denke ich. Sie existieren zwar noch, aber man kann sie bewegen. Einbahnstrassen verschwinden – und Religion ist nichts Endgültiges mehr.

Video
Konvertiten: warum Menschen die Religion wechseln
Aus Kulturplatz vom 19.12.2012.
abspielen. Laufzeit 5 Minuten.

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