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Gesellschaft & Religion Was ist heute eigentlich eine Familie?

Wenn es um Familien geht, klafft in der Schweiz eine Lücke zwischen Realität und Recht: Das konservative Idealbild der Mutter-Vater-Kind-Familie verliert an Bedeutung; immer häufiger werden alternative Modelle gelebt. Das Gesetz hinkt diesem Wandel noch hinterher, versucht nun aber aufzuholen.

Seraina und Isa sind seit 10 Jahren ein Paar. Dass sie zusammen Kinder bekommen wollen, wussten sie schon zu Beginn ihrer Beziehung. «Wir waren fast schon neidisch auf heterosexuelle Paare, dass sie einfach so Kinder bekommen können», erzählt Isa. Lange Zeit suchten die beiden Frauen nach einem Mann, der nicht nur Samenspender, sondern auch Vater sein will. «Schlussendlich fassten wir uns ein Herz und verschickten eine Mail an alle Bekannten.» Sie hatten Glück: Ein Mann meldete sich, heute ist er der Vater des kleinen Bela.

Biologische oder soziale Mutter?

Nachdem der Mann gefunden war, mussten Seraina und Isa zunächst besprechen, wer von ihnen schwanger werden soll. Die Antwort war klar: beide. «Ich fände es super, wenn wir beide gleichzeitig schwanger wären. Ich würde dann extra zeigen wollen, dass wir ein lesbisches Paar sind und Kinder bekommen», erzählt Seraina mit einem Lachen im Gesicht.

Anhand der sogenannten Bechermethode – die Frauen ziehen das Sperma des Mannes mit einer Spritze aus einem Becher auf – versuchten beide schwanger zu werden. Bei Seraina klappte es. Dass Seraina die biologische, Isa jedoch «nur» die soziale Mutter von Bela ist, sei kein Problem: «Wir denken gar nicht daran.»

Alleinerziehend und doch zu dritt

Insgesamt sei die Situation «ideal», beschreiben Seraina und Isa. Der Vater betreut Bela ein bis zwei Tage die Woche. Und für alle Anliegen, Sorgen oder organisatorischen Belange haben die drei einen Familienrat gegründet. Unbefriedigend sei einzig die rechtliche Situation: Juristisch gesehen ist Seraina alleinerziehende Mutter. «Das ist absurd, wenn man bedenkt, dass Bela drei Eltern hat», so Seraina.

Gelebte Familienkonstellationen, die im Gesetz keine Entsprechung finden, gibt es in der Schweiz immer mehr. Der Bundesrat will diesem Wandel des familiären Zusammenlebens Rechnung tragen. Zum Beispiel wurde jüngst das Kindesunterhalts-Recht revidiert und so die Stellung von Kindern unverheirateter Paare verbessert. Angepasst wurde auch das Namensrecht: Neu müssen sich Ehepartner nicht mehr für einen gemeinsamen Familiennamen entscheiden.

Familienrecht im Umbruch

Dominiert aber wird die aktuelle Diskussion um das Familienrecht von der Frage, wie gleichgeschlechtliche Paare behandelt werden sollen. Im Moment ist ihnen die Ehe verwehrt, aber sie können sich eintragen lassen. Allerdings benachteiligt sie die eingetragene Partnerschaft im Vergleich zur Ehe, zum Beispiel bei der Adoption oder beim Zugang zur Fortpflanzungsmedizin. Doch der gesellschaftliche Druck in der Schweiz wächst, denn viele ausländische Staaten haben die Ehe bereits für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet.

Zwei Frauen an einem Küchentisch, vor ihnen ein Kind.
Legende: Bis auf das Rechtliche eine ideale Situation: Isa und Seraina mit Bela, der 1-2 Mal pro Woche vom Vater betreut wird. SRF/Nici Jost

Ob nebst dem Adoptionsrecht, das in der Schweiz momentan neu aufgegleist wird, auch die Ehe überarbeitet wird, muss sich zeigen. Die Rechtskommission des Nationalrats hat zumindest schon einmal eine entsprechende Initiative gutgeheissen. Ein starkes Signal, sagt David Rüetschi, Leiter des Fachbereichs Zivilrecht beim Bundesamt für Justiz: «Vor ein paar Jahren wäre dies noch nicht möglich gewesen.»

Was tun mit Heiratsunwilligen?

Die Ehe und die Adoption sind für gleichgeschlechtliche Paare in der Schweiz also in Greifweite. Kein Thema sind jedoch Dreielternfamilien, wie sie in einigen kanadischen Provinzen und US-Bundesstaaten anerkannt sind. Ein Kind kann dort beispielsweise zwei Mütter und einen Vater haben.

Eine weitere Frage wird momentan heiss diskutiert: Wie will man mit den zahlreichen Paaren umgehen, die zwar heiraten könnten, es aber nicht wollen, also sogenannte faktische Lebensgemeinschaften? Ein Drittel aller Paare, die zusammenwohnen, tun dies ohne Kinder und Trauschein. Und jedes elfte Paar mit gemeinsamen Kindern verzichtet auf die Ehe. Erstmals leben in der Schweiz mehr ledige Menschen als verheiratete.

Soll es für diese Paare zusätzliche rechtliche Regelungen geben? Diverse Vorschläge liegen auf dem Tisch. Vor allem das Modell aus Frankreich, ein sogenannter «pacte civil de solidarité» ist für den Bundesrat interessant. Es handelt sich dabei um eine rechtlich geregelte Beziehung, die aber weniger weit geht als die Ehe – eine sogenannte «Ehe light». In Frankreich ist das Modell ein grosser Erfolg.

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