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Der Krieg ist aus! Euphorisch bis nüchtern: Die Schweizer Presse am 8. Mai 1945

In der Schweiz feiern die Menschen das Kriegsende auf den Strassen – euphorisch und ausgelassen. Die Erleichterung ist auch in den Zeitungen von damals zu spüren, aber bei weitem nicht bei allen: Die NZZ titelt fast schon distanziert, andere Medien konzentrieren sich auf Themen wie die AHV.

Der Krieg ist aus! Die Feder zittere in seinen Händen, schreibt René Braichet, Chefredaktor der kleinen Neuenburger Regionalzeitung «Feuille d’Avis de Neuchâtel», angesichts der Tatsache, dass dieser hässliche und brutale Krieg endlich ein Ende habe und das Wort FRIEDEN Konturen am Horizont annehme: «Unser kleines Vaterland ist durch eine unerklärliche Fügung der Gnade von diesem Alptraum verschont geblieben, der mehrere Millionen Menschenleben gekostet, der die Grundfesten der Zivilisation zerstört und die moralischen Werte und Institutionen zutiefst erschüttert hat.»

Ein Zeitungsverkäufer hält die NZZ in der Hand.
Legende: «Kriegsende in Europa – Kapitulation der Deutschen in Böhmen»: Die NZZ titelt nüchtern, distanziert. Keystone

Emotional bis distanziert

Während bei der Neuenburger Zeitung der Chefredaktor höchstpersönlich und mit Herzblut in die Tasten greift, ist die Berichterstattung der grossen NZZ zurückhaltender und distanzierter. In der Morgenausgabe vom 8. Mai lautet die NZZ-Schlagzeile «Gesamtkapitulation der deutschen Truppen», in der Mittagsausgabe das «Kriegsende in Europa».

In der Abendausgabe überlässt die NZZ der Politik das Wort und veröffentlicht eine Stellungnahme der FDP. Diese ruft dazu auf, die auf die Schweiz zukommenden sozialen Probleme wie Arbeitslosigkeit und Ernährungsknappheit gemeinsam zu lösen – beispielsweise mit der Zustimmung zur Einführung der Altersversicherung, welche damals diskutiert wurde.

Mit dem Zitat eines Philosophen

Pointiert und dezidiert äussern sich die Basler National-Zeitung und der Schweizerische Beobachter zum Kriegsende. Die National-Zeitung mit radikal-demokratischer Ausrichtung vermeldet «Bedingungslose Kapitulation der Deutschen in Prag» und stellt dem Leitartikel über die Zukunft und Aufgaben des neuen Deutschlands einen Satz des niederländischen Philosophen Spinoza voran: «Der Friede ist nicht nur ein Unterlassen des Krieges: Er ist eine Tugend, die aus der Kraft der Seele stammt.»

Aber auch die Schweiz müsse die Konsequenzen ziehen, schreibt die National-Zeitung. Es gelte nun, die deutsche Kolonie in der Schweiz «von allen denjenigen Elementen zu säubern, die sich gegen uns und zugleich zwischen uns und ein menschlich anständiges Deutschtum gestellt hatten».

Säuberung der faschistischen Eiferer

In dieselbe Kerbe schlägt der Schweizerische Beobachter, der laut dem Historischen Lexikon der Schweiz damals ein «politisches, parteiunabhängiges volksnahes Kampfblatt» war, das «zugunsten wirtschaftlich Schwacher Stellung nahm». In der Ausgabe vom 30. April 1945 hatte das zweiwöchentlich erscheinende Gratisblatt den Bundesrat kritisiert und ebenfalls eine Säuberung unter den in der Schweiz wohnhaften Deutschen und Italienern verlangt: Die Schweiz habe die zahlreichen faschistischen und nationalsozialistischen Eiferer zu lange gewähren lassen. Diese hätten ungehindert Zwang und Terror gegen ihre eigenen Landsleute auf Schweizer Boden ausüben können.

Einen Monat später äussert sich Albert Oeri im Beobachter lobend über die Schweizer Bevölkerung. Oeri, Chefredaktor der National-Zeitung, Nationalrat der Liberalen und Mitinitiator der Aktion Nationaler Widerstand gegen den Nationalsozialismus, schreibt im Leitartikel vom 31. Mai 1945, die Bevölkerung habe sich während der Kriegsjahre durch ihre «geistige Abwehrkraft» gegen den Nationalsozialismus bewährt.

Ein Zeitungsverkäufer trägt Schilder mit den Schlagzeilen des Tages am 8. Mai 1945.
Legende: Ein Zeitungsverkäufer am 8. Mai 1945 in Zürich: «Kriegsende in Europa». Und: Die neuen Sommerfahrpläne sind da! Keystone

Für eine starke Armee …

Ein eigentliches Kontrastprogramm in der Berichterstattung bilden die beiden Zeitungen Vaterland und Volksrecht. Auf der Front des Vaterlandes, laut Eigenbeschreibung «konservatives Organ für die deutsche Schweiz», freut sich die Redaktion mit blumigen Worten über das Kriegsende. Und setzt sich gleichzeitig für eine starke Armee ein, um die Unabhängigkeit der Schweiz zu garantieren. Es sei nicht so, wie «in einem linkspolitischen Blatte zu lesen war, dass die Schweizerischen Offiziere ihre Uniformen bis ins Jahre 2000 einkampfern» könnten, heisst es im Leitartikel vom 8. Mai.

... und für die AHV

Kämpferische Töne schlägt das Volksrecht an. Auf der Frontseite, direkt unter der Schlagzeile «Kriegsende in Europa», platzierte die Redaktion die Stellungnahme der Sozialdemokratischen Partei: «Der Kräfte der Freiheit haben gesiegt, Nationalsozialismus und Faschismus sind zerschmettert.»

Die SP ist überzeugt, dass die Bereitschaft der Bevölkerung und der Armee, für Freiheit und Unabhängigkeit zu kämpfen, wesentlich zur Rettung der Schweiz beigetragen habe – auch mit Unterstützung der grossen Demokratien, der Roten Armee und den «heldenmütigen Freiheitskämpfern aller Nationen».

Es gelte nun, die Umsetzung der Versprechen an die Arbeiter, Angestellten und Bauern umzusetzen. Verlangt werden höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten, Vollbeschäftigung und die rasche Einführung der neuen Alters- und Hinterbliebenenversicherung, der AHV.

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