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100 Jahre Bauhaus Hier richtet sich die Zukunft ein

Das Bauhaus-Design hat sich nie aufgedrängt – und doch das moderne Wohnen bis heute geprägt. Acht Beispiele.

Lesedauer: 9 Minuten

«Ich komme mit Ungestüm nach Weimar mit dem festen Vorsatz, aus meiner Sache ein Ganzes zu machen», schreibt Walter Gropius im April 1919. Der junge deutsche Architekt, soeben zum Direktor der Kunsthochschule in Weimar berufen, hat Grosses vor: Er will die Zukunft neu gestalten in einer Welt, die im Umbruch ist.

Kurz darauf schreibt Gropius ein Manifest, das das Fundament für die Bauhaus-Schule legt. Gropius' Leitidee: die bildende Kunst und das Handwerk zusammenführen. Ein bahnbrechendes Programm, denn Künstler müssen plötzlich Hand anlegen – werken!

Kurz erklärt: Die Bauhaus-Schule

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Die Schule hatte zum Ziel, bildende Kunst und Handwerk zusammenzuführen. Diese Idee widerspiegelte sich im Programm der Schule: Nach einem Vorkurs, in dem die Schüler und Schülerinnen mit Materialien, Farben und Formen vertraut gemacht wurden, besuchten sie verschiedene Werkstätten: von der Weberei bis zur Tischlerei, der Wandmalerei oder der Metallwerkstatt. Die praktische Arbeit in den Werkstätten war das Herzstück der Ausbildung am Bauhaus. Hauptziel war die Zusammenführung aller Künste zur Errichtung des Baus der Zukunft. Am Bauhaus lehrten berühmte Architekten wie Mies van der Rohe, aber auch Künstler wie Wassily Kandinsky und Paul Klee. Die Schule wurde 1933 unter dem Druck der Nationalsozialisten geschlossen. Die Schule steht bis heute für rationale und funktionale Entwürfe. Bis heute beeinflussen die Kunstwerke, Bauten und Design-Objekte, die am Bauhaus entstanden, viele Architekten, Designer und Künstler.

Was die Bauhäusler und Bauhäuslerinnen schaffen, bricht mit der Tradition: Verschnörkelt und verziert ist Vergangenheit, schlicht und ornamentlos die Zukunft. Weniger ist plötzlich mehr, «form follows function» lautet das Credo.

Nur 14 Jahre, von 1919 bis 1933, gab es das Bauhaus – die wichtigste Schule für Architektur, Design und Kunst im 20. Jahrhundert. Die Objekte, die unter dessen Dach entstanden, gelten heute noch als moderne Klassiker. Warum eigentlich? Von der Teekanne über den Couchtisch bis zur Tischlampe: Wir beleuchten mit zwei Experten acht Bauhaus-Objekte, die Designgeschichte schrieben.

Neuanfang: Wiege von Peter Keler (1922)

Die Geschichte des Bauhauses beginnt natürlich nicht in dieser Wiege. Sie birgt jedoch Ideen, die dem Bauhaus zugrunde liegen.

Die Babyschaukel, die der deutsche Grafiker und Möbeldesigner Peter Keler im September 1923 bei der ersten Bauhausausstellung präsentierte, war eine kühne Konstruktion. Sie passte nicht ins klassische Kinderzimmer.

«Sie ist nicht nur ein Nutzobjekt, sondern eine programmatische Designstudie», sagt Christoph Wagner, Bauhaus-Experte und Professor für Kunstgeschichte an der Universität Regensburg.

In der Wiege wird die Farbtheorie von Wassily Kandinsky, der selbst am Bauhaus tätig war, sichtbar: Die Grundfarben Blau, Rot und Gelb werden den Grundformen Kreis, Quadrat, Dreieck zugeordnet. Eine Reduktion auf elementare Lehren, die typisch für das Bauhaus war.

Christoph Wagner

Professor für Kunstgeschichte

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Christoph Wagner ist seit 2007 Professor für Kunstgeschichte an der Universität Regensburg. Seine Forschung zum Bauhaus und zur Kunst der Moderne ist international bekannt. Er war u.a. wissenschaftlicher Kurator der Ausstellung «Bauhaus und die Esoterik» und «Kosmos Farbe: Itten ‒ Klee». Aktuell publiziert er den neuen Werkkatalog von Johannes Itten. Im Frühjahr erscheint sein Buch über «Itten, Gropius, Klee am Bauhaus in Weimar» (Gebr. Mann Verlag)

«Die Bauhauslehren werden hier dem Kind sozusagen in die Wiege gelegt», erklärt Wagner. Die Wiege als Wahl ist kein Zufall, denn das Kind hatte am Bauhaus eine besondere Bedeutung. Es galt als «schöpferisch ursprünglicher Mensch».

Zurück zum Anfang, neu beginnen, neu denken: In der Wiege liegt diese Befreiung, die Bauhäusler forderten: «Wieder wie Kinder werden zu müssen, um sich von traditionellen Formstrukturen zu befreien. Das ist eine programmatische Ansage, die zahlreiche Erfindungen hervorbrachte», erklärt Wagner.

Das Wohl des Kinds, ja schlicht des Menschen, stand neu im Fokus: «Was tut dem Kind gut? Wie kann der Mensch gesünder leben? Diese Ideen wurden in den 1920er-Jahren intensiv erkundet und waren auch am Bauhaus präsent», ergänzt Wagner.

Schweben statt sitzen: Freischwinger von Mart Stam (1926)

Freischwinger Stuhl aus einem Stahlgestell.
Legende: Stahlrohre machen es möglich: Stühle, die ohne Hinterbeine auskommen. Vitra Design Museum / Foto: Andreas Sütterlin

Vorher stand der Stuhl auf allen Vieren. Das änderte sich mit der Konstruktion von Mart Stam. Der holländische Architekt schuf den ersten hinterbeinlosen Stuhl der Geschichte.

Stam präsentierte 1927 seinen Entwurf. Dieser war zweifach einzigartig: wegen des Materials und der Konstruktionsmethode. «Durch das gebogene Stahlrohr konnte man frei kragende Stühle gestalten – Stühle, die nicht mehr auf vier Beinen stehen», erklärt Wagner.

Der Stuhl war die logische Reduktion aufs Nötigste: «Der Stuhl folgt dem Prinzip ‹Form follows function› – einem Leitprinzip des Bauhauses», so Wagner. «Kein schmückendes Beiwerk, kein Ornament. Eine radikale funktionale Neudefinition des Stuhls.»

Noch heute stehen die Leute auf den Freischwinger: «Heute finden Sie ihn quer durch alle Gesellschaftsschichten – wenn auch oft als Billigkopie», stellt Wagner fest.

Funktion im Fokus: Tischlampe Wagenfeld WG24 von Wilhelm Wagenfeld und Carl Jakob Jucker (1923/1924)

Zwei Lampen in einer Ausstellung.
Legende: Hier wird Licht in die Konstruktion gebracht: mit der Wagenfeld-Lampe. dpa / Oliver Berg © 2019, Pro Litteris, Zürich

Die Wagenfeld-Lampe rückte die Konstruktion selbst ins Rampenlicht. Die Leuchte von 1924 ist heute eine Ikone. Ein Entwurf von Student Wilhelm Wagenfeld und seinem Kommilitonen Carl Jacob Jucker.

«Alles, was die Lampe leistet, ist sichtbar», erklärt Wagner, «die Stromzufuhr, der Standfuss, der Schaft, der Reflexkörper.» Die Funktion wurde nicht versteckt, sie wurde in den Fokus gerückt. Eine Neuheit.

Die Lampe erlebte zu Beginn dunkle Zeiten: Sie war ein Ladenhüter. Zu teuer war das handgefertigte Modell aus Metall und schimmerndem Opalglas. «Die Lampe war ein Wurf, aber auch von Anfang an ein Luxusprodukt», betont Wagner. Die Produktion wurde 1930 eingestellt.

Erst 1980 erstrahlte die Lampe in neuem Licht: dank seines Schöpfers. Noch im hohen Alter veränderte Wagenfeld sie leicht. Heute ist die teure Lampe ein Bestseller.

Möbel und Raum als Ganzes: Sessel von Walter Gropius (1923)

Abbildung eines roten Sessels.
Legende: Bauhaus und Luxus, das passte auch zusammen – wie Gropius' Sessel zeigt. Tecta.de / © 2019, ProLitteris, Zürich

Darf Design Luxus sein? Je nach Direktor änderte sich am Bauhaus die Devise. Hiess es ab 1928 unter der Leitung des Schweizer Direktoren Hannes Meyer «Volksbedarf statt Luxus», war der erste Direktor Walter Gropius dem Luxus nicht abgeneigt.

«Der Bauhausgedanke ist nicht auf eine Abkehr von Luxus festzulegen», erklärt Wagner. Dafür steht etwa der edle Sessel, den Gründervater Gropius höchstpersönlich für das Direktorenzimmer in Weimar herstellte.

«Das Faszinierende an diesem Sessel ist, dass er die Form des Raumes widerspiegelt», sagt Anja Baumhoff, Professorin für Kunst-Designgeschichte und Expertin für Bauhaus an der Universität Hannover. Der Sessel ist auf den Raum zugeschnitten. Mobiliar und Architektur sind eins.

Anja Baumhoff

Professorin für Kunst- und Designgeschichte

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Anja Baumhoff ist seit 2014 Professorin für Kunst- und Designgeschichte an der Hochschule Hannover. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören die Theorie und Geschichte des Designs, wobei sie auf die Moderne und Bauhaus spezialisiert ist. Sie ist Autorin und Herausgeberin mehrerer Publikationen zum Thema Bauhaus – u.a. von «The Gendered World of Bauhaus» und «Mythos Bauhaus. Zwischen Selbstfindung und Enthistorisierung». Im Frühjahr erscheint ihr Buch «Der Neue Mann und das Bauhaus: Männlichkeitskonzepte in der klassischen Moderne» im Reimer Verlag.

Dieser Raum, das Direktorenzimmer des Bauhauses Weimar, gilt als erster Schauraum eines idealen Arbeitszimmers. Gropius entwarf dafür eine ganze Reihe von Möbeln, die streng den geometrischen Prinzipen folgten: Linien und Streifen, Kuben und Quadrat.

Beim Sessel – auf den ersten Blick ein voluminöser Klotz – sieht der scharfe Beobachter schnell: Er schwebt. Die Polster werden vom Holzarm getragen.

Einblick in ein Arbeitszimmer.
Legende: Gropius' Sessel spiegelt die Form des Raumes wider: Linien, Streifen, Kuben. Imago / Fotokombinat / © 2019, ProLitteris, Zürich

Innovativ, geometrisch – eine perfekte Bauhaus-Konstruktion? «Wenn ich in diesem Sessel Platz nehme, kann ich die Arme nicht bequem ablegen. Der Sessel ist nur für grosse Menschen», weiss Anja Baumhoff aus Erfahrung. Eine Unzulänglichkeit, die sie dem Sessel verzeiht: «Hier ist der Funktionalismus umgesetzt und zwar als visuelle Idee», erklärt Baumhoff. «Form follows function» war auch am Bauhaus manchmal nur Theorie.

Flexibles Wohnen: B3 von Marcel Breuer (1925)

Die Geschichte des Sessels B3 begann auf zwei Rädern: Sein Schöpfer Marcel Breuer fuhr Rad mit Passion. Der B3 war leicht und stabil – und aus Stahlrohr gebogen. Eine Konstruktion, die ihm kreativen Schwung gab.

«Der Sessel war eine richtige Revolution», sagt Anja Baumhoff. «Damals waren Sessel meist aus Vollholz und verziert, voluminös und schwer zu verrücken», so Baumhoff. Der «Skelett»-Sessel macht Schluss mit der Schwere. «Breuer wollte sitzen als etwas Leichtes gestalten», sagt Baumhoff. Breuer habe, wie schon Le Corbusier, Möbel als «Apparate» für ein befreites, modernes Leben gesehen.

«Der Stuhl kann heute als Metapher gelesen werden, dass das Bauhaus die Gesellschaft grundlegend verändern, reformieren wollte», so Baumhoff. Auf diesem Stuhl nahm schlicht die Zukunft Platz. Doch lange davor noch Wassily Kandinsky: Der Sessel haute den Bauhäusler dermassen vom Hocker, dass er ein Exemplar für seine Wohnung bestellte. Heute trägt der Sessel seinen Namen.

Schlicht und tropffrei: Teekanne von Marianne Brandt (1924)

Teekanne aus Metall aus runden Formen.
Legende: Ein Bruch mit traditionellen, verzierten Teeservice: die Kanne von Marianne Brandt. bpk / The Metropolitan Museum of Art © 2019, Pro Litteris, Zürich

Diese Kanne ist ein Alleskönner. Eine Kreation von Marianne Brandt – Studierende und später Werkstattleiterin am Bauhaus.

Für Frauen war am Bauhaus der Weg klar: Sie gehörten in die Textilwerkstatt. Doch Brandt verschaffte sich ihren Platz auf männlichem Terrain: «Sie hat sich mit Leistung und Begabung in der Metallwerkstatt durchgesetzt.» Ein Bruch mit traditionellen Rollenmustern, der am Bauhaus möglich war, so Wagner.

«Die Kanne ist durch ihre Formelemente ein gestalterisches Bauhaus-Statement», erläutert der Bauhaus-Experte Wagner. Eine Kreation, die mit den Traditionen des verzierten Teeservices bricht. Und sie funktioniert: Der halbbauchige Körper fasst den Tee, der Griff ist so konstruiert, dass man sich die Finger nicht verbrennt. Und sie kleckert nicht: «Keine Kanne ist aus unserer Werkstatt gegangen, die nicht tropffrei goss», versicherte Brandt.

Heute ist die originale Kanne ein rarer Klassiker: Sieben gibt es noch. Sechs sind in Museumshänden, die siebte wurde im Januar 2007 für 361‘000 Dollar versteigert.

Architektur und Teppich: Anni Albers

Abbildung eines gestreiften Teppichs.
Legende: Mit dem Bauhaus wurden Teppiche zu einem Teil der Architektur. 2017 The Josef and Anni Albers Foundation / Artists Rights Society (ARS), New York / DACS, London. Photograph by Tim Nighswander / Imaging4Art.

«Weben? Weben hielt ich für zu weibisch!» Als Anni Albers ans Bauhaus kam, war sie von der Weberei wenig begeistert. Doch sie stand vor der Wahl: Textil oder gar nichts.

Für Anja Baumhoff ist sie eine Meisterin des Textils: «Kennzeichnend für Anni Albers‘ Arbeiten ist die Kombination von symmetrischem und asymmetrischem Design», erklärt Anja Baumhoff. Die Teppiche sehen auf den ersten Blick symmetrisch aus – und doch gibt es immer wieder Streifen, die aus der Reihe springen.

Das Teppich-Design hat sich mit dem Bauhaus verändert. Teppiche werden Teil der Architektur: «Anni Albers hat in ihrer Abschlussarbeit einen Wandbehang gemacht, der schallschluckend und lichtreflektierend war», erzählt Anja Baumhoff.

So innovativ die Teppiche waren, so anachronistisch war ihre Produktion: Die Teppiche wurden von Hand gefertigt – zu einer Zeit, als die Webmaschine voll im Gange war. Die Bauhaus-Weberei machte allerdings Entwürfe für die industrielle Produktion.

Abbildung eines Teppichs mit Streifenmuster.
Legende: Kennzeichnend für Albers' Teppiche ist eine Mischung aus symmetrischem und asymmetrischem Design. 2018 The Josef and Anni Albers Foundation / Artists Rights Society (ARS), New York / DACS, London

Das Ziel des Bauhaus jedoch, Handwerk und Kunstwerk zusammenzuführen und gleich wertzuschätzen, stiess in der Textilwerkstatt an seine Grenzen. Das sah Albers, die später als Grafikerin arbeitete, rückblickend als Dilemma.

«Wenn eine Arbeit mit Fäden entsteht, dann wird sie als Handwerk betrachtet; auf Papier wird sie als Kunst angesehen», sagte Albers einst. Die künstlerische Anerkennung für ihre Textilentwürfe kam später: Albers ist die erste Weberin mit einer Einzelausstellung im MoMA.

Platz zaubern für die Zukunft: Satztische von Marcel Breuer (1926)

Kleine, bunte, untereinanderschiebbare Tischchen.
Legende: Tisch im Tisch: der Satztisch von Marcel Breuer. Klassik Stiftung Weimar / Foto: unbekannt

Schlicht und schnörkellos: Die Satztische von Marcel Breuer brachen mit der unverrückbaren Möbel-Tradition.

«Die Idee dieses Tisches ist dermassen einfach, dass man kaum darauf kommt», scherzt Anja Baumhoff. Im Ernst: Die Tische kann man untereinander schieben, «ähnlich wie eine russische Puppe».

«Das Bauhaus hat sich überlegt, wie man auf kleinstem Wohnraum leben kann», erklärt Baumhoff. Breuer wollte ein Möbel entwerfen und Platz machen für mehr Leben: Diese Idee habe sich bis heute gehalten.

«Wir leben in einer Zeit, in der das Produktdesign unter anderem die Aufgabe hat, Dinge verschwinden zu lassen. Man denke an Fernseher, die in Tapeten integriert werden. Die Tische sind also sehr zukunftsträchtig.»

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