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Kunst Amsterdamer Schule: Verspielte Baukunst mit Backsteinen

Im Süden Amsterdams gibt es zahlreiche wellenförmig gebaute Backsteinhäuser, verziert mit Bildhauer-Ornamenten – typische Beispiele der Amsterdamer Schule. Diese Architekturströmung nahm vor 100 Jahren ihren Anfang und entwarf neben Gebäuden auch Möbel, Lampen und Skulpturen.

Das Scheepvaarthuis unweit vom Amsterdamer Hauptbahnhof ist das mit Abstand schönste und eindrucksvollste Bauwerk der Architekten der Amsterdamer Schule. Im Auftrag von sechs Reedereien schufen sie aus roten und weissen Backsteinen sowie Terrakotta, Holz, Granit und Marmor ein imposantes, dreieckiges Gebäude. Dessen Aussenfassaden verzierten sie mit zahlreichen Steinornamenten und schmiedeeisernen Gittern. Die bleiernen Dachrinnen modellierten sie in Form von Schiffstauen, Wellen und Fischköpfen. Auch im Interieur wurde nicht gegeizt mit farbenprächtigen Bleiglasfenstern, Teppichen, Holzschnitzereien und Steinskulpturen.

Nach vierjähriger Bauzeit konnten die Reeder das aufsehenerregende Gebäude 1916 in Betrieb nehmen. Der Architekturkritiker Jan Gratama, der das phantasievolle Konstrukt in einer Zeitschrift rezensierte, jubelte über den neuen Stil und gab ihm den Namen «Amsterdamse School». Das Gebäude ist mitsamt der reichen Innenausstattung erhalten geblieben – heute ist es ein Luxushotel.

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Ausstellung «100 Jahre Amsterdamer Schule»
aus Kultur kompakt vom 27.04.2016.
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 26 Sekunden.

Reich verzierte Aussenfassaden

Tuschinski heisst das andere berühmte Beispiel der Amsterdamer Schule. Dabei handelt es sich um das wohl schönste Lichtspieltheater des Landes. Auch dieses bis heute sehr populäre Kino befindet sich in der Innenstadt. Wie beim Schifffahrtshaus sind hier die reich verzierten Aussenfassaden und im Innern die farbigen Teppiche und die Wandmalereien erhalten geblieben. Das Tuschinski sei so populär gewesen, dass man damals nicht von Amsterdamer Schule, sondern vom «Tuschinski-Stil» gesprochen habe, erzählt Ingeborg de Roode. Sie ist die auf die Amsterdamer Schule spezialisierte Konservatorin im Stedelijk Museum in Amsterdam, das viele Möbel, Lampen und andere Einrichtungsgegenstände aus jener Zeit in seinem Besitz hat.

Ausstellung in Amsterdam

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Die Architekten der Amsterdamer Schule bauten nicht nur Häuser mit expressionistisch verzierten Fassaden, sie kümmerten sich auch oft und gerne um die Inneneinrichtung. Eine Ausstellung im Stedelijk Museum in Amsterdam zeigt noch bis zum 28. August mehr als 500 Möbelstücke, Lampen, Uhren und andere Gegenstände aus jener Zeit.

Verwandt mit dem Expressionimus

Ihren Anfang nahm die Amsterdamer Schule 1910. Die damaligen Architekten Michel de Klerk, Piet Kramer und Jo van der Mey suchten eine Antwort auf die Neostile – genau wie das in Belgien mit der Art Nouveau der Fall war oder mit dem Jugendstil in den deutschsprachigen Ländern. Ihre Arbeiten hätten eine grosse Verwandtschaft mit dem Expressionismus, erklärt Konservatorin Ingeborg de Roode. Es habe Kontakte gegeben zu deutschen expressionistischen Architekten.

Zudem hätten sich de Klerk und seine Kollegen bei der Anwendung der intensiven, für die Amsterdamer Schule typischen Farben Orange, Grün und Violett von expressionistischen Malern beeinflussen lassen: «Wassily Kandinsky oder Karl Schmidt-Rotluff haben ihre Werke schon ab 1911 in den Niederlanden ausgestellt», erklärt sie.

Hübsche Häuser für die Armen

Die Strömung hat sich im ganzen Land manifestiert. Aber weitaus am meisten Beispiele der Amsterdamer Schule gibt es im Süden der Hauptstadt. Die auffallenden roten, wellenförmigen Backsteingebäude mit vielen Verzierungen wurden in jener Zeit für die Arbeiter gebaut. Weil die Stadtväter wollten, dass auch die ärmere Bevölkerung in hübschen Häusern wohnen konnte, vergaben sie die Bauaufträge an die Architekten der Amsterdamer Schule. Aus Kostengründen mussten sich De Klerk, Kramer und Co. aber auf die Aussenfassaden beschränken. Die farbenprächtigen, bis ins Detail gestalteten Interieure blieben der höheren Gesellschaft vorbehalten.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 28.4.2016, 8.20 Uhr.

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